Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der alte Mann und der junge Blitzstarter
Englands Nationaltrainer Roy Hodgson setzt auch auf eine neue Generation – Euphorie um Marcus Rashford
ieles können Kritiker Louis van Gaal vorhalten: Sturheit, Arroganz und gewiss auch Besserwisserei. Geht es aber darum, junge Fußballtalente zu entdecken und zu fördern ist der Niederländer kaum zu toppen. In seiner Zeit beim FC Bayern München waren es Thomas Müller und Holger Badstuber, die er mit seinem unerschütterlichen Glauben an deren Fähigkeiten zu Profis gemacht hat. Nun hat van Gaal als Teammanager von Manchester United grandiose Vorarbeit für Englands Nationaltrainer Roy Hodgson geleistet: Der mittlerweile beim dortigen Fußball-Rekordmeister entlassene Coach war es nämlich, der seit Ende Februar auf den gerade mal 18jährigen Marcus Rashford gesetzt hat. Nun gilt der Jungstar als Hoffnungsträger der Three Lions, des Teams mit den drei Löwen auf der Brust, für die EM in Frankreich.
Dabei hatte Rashford genau eine Chance, seine wundersame Aufstiegsgeschichte nur drei Monate nach seinem ersten Profi-Spiel zu einem weiteren Höhepunkt zu führen – beim Testspiel in Sunderland am vergangenen Freitag gegen Australien. Und was tat Rashford bei seinem Nationalelf-Debüt? Bereits nach 138 Sekunden erzielte er die Führung. Er ist seitdem der jüngste Spieler in der Geschichte der Three Lions, der in seinem ersten Länderspiel getroffen hat.
„Was für ein Debüt!“
„Ich bin hocherfreut für Marcus, und ich freue mich sehr, dass er ein solches Lob bekommt“, sagte Hodgson nach der Partie am Freitag in Sunderland. „Ich bin auch hocherfreut, dass sich bewiesen hat, dass meine Entscheidung, ihn ins Spiel zu werfen, nicht lächerlich war. Er wurde in der zweiten Halbzeit etwas müde – aber was für ein Debüt!“Rashford lief in der ersten Hälfte in der Sturmspitze auf, rückte dann auf die Außenbahn und wurde nach gut einer Stunde ausgewechselt.
Die Nominierung des aufstrebenden Jungstars ist trotz allem eine Überraschung. Schließlich gab es bei den Engländern ein Überangebot in der Offensive: Die Topstürmer Harry Kane von Tottenham und Jamie Vardy, von Sensationsmeister Leicester City, hatten beim 2:1 im ersten Test gegen die Türkei getroffen. Vardy fehlte gegen Australien nur, weil er kurz vor der Partie heiratete. Außerdem gibt es ja auch Rashfords United-Teamkollege Wayne Rooney, der gegen Australien eingewechselt wurde und ebenfalls traf, sowie Liverpools noch leicht angeschlagenen Youngster Daniel Sturridge.
Besonders Rooney freute sich immens über die Chance, die sein Teamkamerad erhielt. Bereits nachdem Rashford den Sprung ins vorläufige Aufgebot geschafft hatte, lobte er ihn. „Yeah, es ist außergewöhnlich, aber er verdient es“, sagte der Kapitän der Engländer. „Er kam herein, hat auf den Trainer und die Spieler gehört, hat hart gearbeitet und besitzt eine sehr gute Einstellung.“
Rashford scheint tatsächlich eine Art Blitzstarter zu sein: Bei seinem ersten Auftritt bewahrte er das Premier-League-Team von United gleich mit einem Doppelpack vor der möglichen Blamage gegen den dänischen Außenseiter FC Midtjylland in der Europa League. Auch bei seinem Debüt in der englischen Premier League erzielte er zwei Tore. Mit seinem Siegtreffer zum 1:0 in seinem ersten Stadtderby gegen Manchester City schoss er sich endgültig in die Herzen der United-Fans. Kein Wunder, dass die Red Devils ihrem hochveranlagten Eigengewächs am Dienstag einen gut dotierten Vertrag bis 2020 gaben. Summa summarum kam Neuling Rashford in der abgelaufenen Saison auf acht Tore in 18 Vereinsspielen – und er traf auch bei Manchester Uniteds Triumph im FACup-Finale gegen Crystal Palace. Nun glückte ihm ein ähnlich furioser Start auch beim Nationalteam.
Träume vom ersten Titel seit 1966
Hodgsons Glück ist, dass seine Mannschaft jedoch nicht nur aus Jungs der neuen Generation wie Rashford, Raheeem Sterling von Lokalrivale Manchester City, Tottenhams Mittelfeldwirbler Dele Alli oder Liverpools Sturridge besteht. Der mittlerweile 68 Jahre alte Mann mit der großen Erfahrung – Hodgson war unter anderem Nationaltrainer der Schweiz und Finnlands sowie Klubcoach bei Malmö FF, Inter Mailand und dem FC Liverpool – verfügt eben auch über abgezockte Routiniers wie Rooney, den unermüdlichen Mittelfeldarbeiter James Milner oder den zum Weltklasse-Torhüter gereiften Joe Hart.
Träume vom ersten Titel seit 50 Jahren, damals 1966 wurden die Three Lions Weltmeister, sind diesmal somit durchaus legitim. Es sollte halt auf keinen Fall ein Elfmeterschießen dazwischenkommen ...