Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der neue Stolz der Eidgenossen
Die Schweiz hat den Gotthard-Basistunnel eingeweiht und feiert das Jahrhundertwerk
Viele hohe Herrschaften
Und das tat sie. Am Südportal, tief im Tessin gelegen, ließ sich Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi blicken. Auf dem Rynächter Festplatz trafen zuerst Österreichs neuer Bundeskanzler Christian Kern und Liechtensteins Regierungschef Adrian Hasler ein. Später kamen andere: „Die wirklich Wichtigen“, wie im geladenen Publikum gemurmelt wurde. Dazu flogen Hubschrauber durch das sonnige Tal der Reuß nach Rynächt. An Bord: Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande.
Erst vor wenigen Tagen hatten sich beide zum Jahrhundertgedenken an die Schlacht von Verdun getroffen. Jetzt durften sie gemeinsam durch den neuen Tunnel fahren. Viele in schwarze Anzüge gewandete Festgäste versuchten, Blicke auf die hohen Herrschaften zu erhaschen. Hollande wirke beim Besteigen des reservierten Sonderwaggons wie ein Buchhalter, merkte einer an, der genau hinschaute.
Solch kleine Spötteleien änderten nichts am Stolz der Eidgenossen. „Dieses Ingenieurwerk soll uns mal einer nachmachen“, meinte ein Mann, der zur örtlich verantwortlichen kantonalen Regierung von Uri gehört. Selbst einheimischen Journalisten war Ehrfurcht anzumerken. Ein Vertreter des Schweizer Rundfunks legte seinem Bundespräsidenten nahe, nun in Gesprächen mit der EU den Gotthard-Basistunnel als eine Art Wunderwaffe einzusetzen. Immerhin stehe ein Streit wegen der Schweizer Initiative zur Begrenzung einer Zuwanderung an. Nun, so Quelle:
Göschenen Airolo
Die glücklichen Gewinner von Karten für die offizielle Eröffnungsfahrt haben das Ereignis am Mittwoch ausgiebig mit ihren Handy-Kameras dokumentiert.
der Rundfunkmann, besitze man aber die Schlüsselstelle einer zentralen Transitachse über die Alpen. Pfunde, mit denen gewuchert werden könne.
Ganz so unrecht hat der RadioJournalist mit seiner Bemerkung nicht. Der Gotthard ist Teil eines 1400 Kilometer langen EisenbahnKorridors zwischen dem Nordseehafen Rotterdam und dem Mittelmeerhafen Genua. Die EU hat dem Ausbau dieser Route Priorität zugewiesen. In den kommenden Jahren sollen dafür rund 25 Milliarden Euro investiert werden. Schon deshalb ist der Gotthard auch ein europäisches Politikum. Der ganz in Feierstimmung befindliche Schneider-Ammann ließ sich jedoch nicht zu irgendwelchen offenen Forderungen
Bestehende Strecke
an die EU hinreißen. Er ließ aber durchklingen, dass das eidgenössische Engagement für den Alpentransit durchaus Anlass für ein künftiges europäisches Entgegenkommen sein könnte.
Bedrohliche Blechlawinen
Ursächlich für den Bau des Basistunnels waren aber weniger europawirtschaftliche Verkehrskorridor-Erwägungen. Den Schweizern ging es grundsätzlich um die Rettung ihrer Heimat vor wachsenden Blechlawinen in Form von unzähligen Lkw. 1992 stimmte das Volk der Vorlage zur „Neuen Eisenbahn-Alpentransversale“zu. Dazu gehört auch der Gotthard-Basistunnel. 1998 wurde die Finanzierung der Verkehrsprojekte geregelt. Die Eidgenossen sagbeschützt.
ten Ja zu einer leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe. Das Geld floss fortan dem Ausbau der Eisenbahn-Transitstrecken zu.
Beim Bau des Lötschberg-Basistunnels weiter westlich in den Alpen sparten die Schweizer noch. Bei seiner Inbetriebnahmen 2007 war er nicht, wie ursprünglich vorgesehen, komplett zweispurig ausgebaut worden. Für die Gotthard-Röhre schien hingegen nichts zu teuer zu sein. „Wenn man hier baut, macht man es richtig“, ließ Renzo Simoni, Chef der Alptransit Gotthard AG, einmal durchblicken. Auf jeden Fall war am Schluss auch noch genügend Geld für eine große Sause übrig. Gut 1100 Gäste durften an den Feiern teilnehmen. Sie wurden wiederum von rund 2000 Polizisten und Soldaten Damit erreichten die Sicherheitsmaßnahmen eine Größenordnung wie beim jährlichen Weltwirtschaftsforum im graubündischen Nobelskiort Davos. Selbstverständlich wurde auch geistlicher Segen eingeholt: eine Zermonie im ausgleichenden eidgenössischen Konkordanz-System. So durften ein evangelischer, katholischer, jüdischer und muslimischer Geistlicher den Tunnel segnen. Um den Reigen zu komplettieren, sprach noch ein nicht religiös orientierter Mensch seine besten Wünsche für eine glückliche Zukunft der Röhre aus.
Werk für Generationen
Hundert Jahre soll sie im Schweizer Bewusstsein durchaus ihren Dienst tun. Weshalb etwa Peter Füglistaler, Chef des Schweizer Bundesates für Verkehr, das Wort von „Jahrhundertwerk“leicht über die Lippen kommt. Vielleicht geht es sogar länger. Der alte Gotthard-Scheiteltunnel war 1882 in Betrieb gegangen – vor genau 134 Jahren.
Weil in der neuen Röhre bis Spätherbst noch der Testbetrieb läuft, muss der alte Tunnel bis dahin den Verkehr bewältigen. Danach dürfte die Bergstrecke zur touristischen Attraktion werden. „Er ist aber ein gutes Beispiel dafür, dass die Bahn für Generationen baut. Enge Horizonte wie bei wirtschaftlichen Quartalszahlen oder politischen Legislaturperioden werden unserem Gewerbe nicht gerecht“, sagt ein vom Tunnelglück beseelter Vertreter der Schweizer Bundesbahn.