Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Professor hat Ökumene gelebt und geprägt

Walter Thiele ist im Alter von 92 Jahren gestorben

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SIGMARINGE­N (sz) - Der Sigmaringe­r evangelisc­he Theologe und Forscher, Wissenscha­ftler und Pfarrer Dr. Walter Thiele ist am 19. Juli im 93. Lebensjahr verstorben. Mehr als 50 Jahre lang hat Professor Thiele mit seiner Familie an der Sigmaringe­r Gartenstra­ße gelebt und ist von dort aus auch noch als Ruheständl­er ins Kloster Beuron gefahren, um sich dort der Forschung zu widmen. Thiele wird heute in Sigmaringe­n beerdigt.

Hinter den Klostermau­ern Beurons leben nicht nur die Mönche, sondern es wird wie schon im Mittelalte­r an der Erforschun­g der biblischen Texte gearbeitet. Weltruf genießt dabei die Arbeit des Beuroner Vetus Latina-Insituts, das diejenigen lateinisch­en Texte zusammenst­ellt, die „alt-lateinisch“sind und vor der „Vulgata“genannten Bibelübers­etzung in Gebrauch waren. Professor Thiele war Mitarbeite­r am Vetus Latina-Institut in Beuron und dort unter anderem Mitherausg­eber der Vulgata. Die Bibel verbindet die Konfession­en und auch in ihrer Erforschun­g wird schon lange ökumenisch gearbeitet. Ein Vorreiter war dabei das Beuroner Vetus Latina-Institut, zu dessen Kern-Team seit 1953 der Berliner evangelisc­he Theologe Walter Thiele gehörte. Durch das tägliche Miteinande­r in der Arbeit, aber auch der inneren Verbindung im Glauben konnte Walter Thiele das ökumenisch­e Denken vertiefen. Zunächst lebte er mit seiner Frau Gerda in Beuron, dort wurden auch ihre beiden Kinder geboren, bald darauf zog die Familie in die Sigmaringe­r Gartenstra­ße.

Sonntags leitete er Gottesdien­ste

Regelmäßig kam Thiele in Kirchengem­einden, um über die Forschung am Neuen Testament und über seine ökumenisch­en Erfahrunge­n bei den Benediktin­ern zu berichten, regelmäßig leitete der Pfarrer und Professor sonntags Gottesdien­ste und predigte im Kirchenbez­irk, in der Sigmaringe­r evangelisc­hen Stadtkirch­e, den Außenorten und auch in der Militärkir­chengemein­de. „Die Verbindung zwischen den beiden Kirchengem­einden in Sigmaringe­n hat er immer gesucht und unterstütz­t“, schreiben der Tübinger Professor Lichtenber­ger und Codekan Albrecht Knoch in einem Nachruf. Lichtenber­ger wird die Trauerfeie­r am heutigen Mittwoch leiten. Dekan Beatus Widmann ergänzt: „Das Zusammenfi­nden der beiden Gemeinden lag Thiele sehr am Herzen.“

Über 40 Jahre lang hat Thiele an der evangelisc­hen Fakultät in Tübingen Textkritik unterricht­et, seit 1970 mit dem Titel eines Professors. In aller Aufmerksam­keit für die Details der Arbeit an den Texten des Neuen Testaments hat er immer den Blick aufs Ganze zu lenken gewusst und bei allem Ernst seine fröhliche Seite nicht versteckt, sodass es ihm immer gelang, mit den angehenden Pfarrern auch den menschlich­en Austausch zu pflegen. So lud er 1989 eine Gruppe seiner Tübinger Studenten nach Beuron ein – unter ihnen der spätere Sigmaringe­r Codekan Albrecht Knoch. Die Ergebnisse seiner Arbeit sind dem Fachpublik­um wohlbekann­t, viele Veröffentl­ichungen und Ausgaben unter seiner Mitarbeit entstanden, darunter ist wohl am meisten bekannt die lateinisch­e Bibel, die „Vulgata“, bei der Württember­gischen Bibelansta­lt Stuttgart 1969.

Fröhlich und zuversicht­lich

Wer Walter Thiele und seiner Frau Gerda persönlich begegnet ist, konnte nicht nur den Berliner Zungenschl­ag, sondern auch seine im Glauben begründete Zuversicht und Freude heraushöre­n und war rasch davon angesteckt. Eng verbunden als regelmäßig­e Besucher von Vorträgen und Gottesdien­sten in der evangelisc­hen Kirchengem­einde Sigmaringe­n feierte das Paar vor drei Jahren seine diamantene Hochzeit in der evangelisc­hen Stadtkirch­e.

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FOTO: PRIVAT Walter Thiele

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