Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Wir alle tragen häufiger solche Keime im Körper als früher“
Die Medizinerin Heike von Baum über Krankenhausinfektionen und wie wir uns davor schützen könnnen
STUTTGART - In Deutschland sterben pro Jahr 15 000 Menschen, weil sie sich im Krankenhaus mit einem multiresistenten Keim infiziert haben. Das zeigen Hochrechnungen des Nationalen Referenzzentrums zur Überwachung von Krankenhausinfektionen. Im Gespräch mit Katja Korf erläutert Professorin Heike von Baum, wie gefährlich die Keime sind und was Patienten tun können, um sich zu schützen. Die Medizinerin leitet die Sektion für Klinikhygiene an der Uniklinik Ulm. Dort steckten sich 2016 zwei Patienten bei einem Dritten mit den Erregern an.
Was ist das Gefährliche an multiresistenten Keimen (MRE)?
Bei dem Thema muss man etwas Wichtiges unterscheiden: Mit bestimmten Erregern infiziert man sich und wird direkt akut krank – also beispielsweise bei Masern oder Grippe. Bei multiresistenten Keimen ist das anders. Sie besiedeln viele Menschen, leben dort auf der Haut, den Schleimhäuten oder im Darm. Aber sie machen uns nicht unbedingt krank, sondern nur in bestimmten Situationen, etwa wenn unser Immunsystem ohnehin geschwächt ist. Viele Menschen leben jahrelang damit, ohne zu erkranken. Außerdem bedeutet multiresistent: Solche Keime lassen sich nicht mit herkömmlichen Antibiotika behandeln. Deshalb sind von ihnen ausgelöste Infektionen mitunter schlechter zu therapieren.
Was passiert, wenn eine solche Infektion ausbricht?
Grundsätzlich gibt es in vielen Fällen auf den Patienten zugeschnittene Therapien. Dennoch sollte man das Problem auch nicht verharmlosen. Im Einzelfall kann eine Infektion mit resistenten Keimen zu einer sehr komplexen Behandlung mit einem gewissen Risiko führen, daran zu sterben.
Muss ich als Patient in jedem Krankenhaus damit rechnen?
Was wir leider bedenken müssen: Wir alle tragen häufiger solche Keime im Körper als früher, vor allem in der Darmflora, obwohl wir vielleicht nie im Krankenhaus waren. Das ist kein alleiniges Problem der Krankenhäuser wie noch vor einigen Jahren. Sondern man bringt den Keim zum Beispiel von einer Fernreise mit. Inzwischen gibt es sehr viele unterschiedliche resistente Erreger. Darunter sind wenige, die man sich nur im Krankenhaus einfängt. Das Risiko, sich damit zu infizieren, ist in bestimmten Regionen der Erde sehr viel höher als in Deutschland – etwa auf der arabischen Halbinsel oder in Griechenland. Wenn man sehr oft im Krankenhaus ist oder sehr häufig Antibiotika nimmt, ist man gefährdeter.
Viele Patienten bringen den Keim also mit ins Krankenhaus. Was kann man dagegen tun?
Wir testen Risikopatienten bei ihrer Aufnahme ins Krankenhaus. Dabei werden mit einem Wattetupfer Abstriche aus Mund und Nase genommen. So erkennen wir die MRSA-Erreger, die seit mehr als 50 Jahren auftreten. Außerdem bitten wir seit einiger Zeit auch um einen Abstrich aus der Analregion. So wollen wir erkennen, ob jemand mit multiresistenten Darmbakterien (MRGN) besiedelt ist. Diese kommen erst seit einigen Jahren vor. Abhängig von Erregern und Patient ergreifen wir dann Schutzmaßnahmen.
Welche sind das?
Je nach Keim legen wir betroffene Patienten zum Beispiel in ein Einzelzimmer. Ärzte und Schwestern tragen Schutzkleidung. Auch Besucher werden dazu aufgefordert. Außerdem ist die Handdesinfektion ganz wichtig: Egal welcher Keim, keiner überlebt dieses Desinfektionsmittel.
Kann ein mit solchen Keimen besiedelter Patient diese loswerden?
Bei den MRSA, die sich in Mund und Nase ansiedeln, geht das. Man kann durch Körperwaschungen oder mit Nasensalben die Keime abtöten. Erreger, die im Darm sitzen, verschwinden oft, wenn sich die Gesundheit eines Patienten wieder stabilisiert. Ansonsten kann man sie zunächst nicht loswerden. Würde man sie mit Antibiotika bekämpfen, verschlimmert man ja das Problem.
Sind diese Erreger auf dem Vormarsch und warum?
Es ist noch nicht ganz geklärt, wie man solche Keime erwirbt. Es gibt Berichte, dass sie in bestimmten Ländern in der Nahrung und im Trinkwasser sind. Außerdem können Erreger, die häufig mit Antibiotika behandelt werden, selbstständig Resistenzen entwickeln. Es gibt auch starke Hinweise darauf, dass die verstärkte Behandlung von Tieren mit Antibiotika eine Rolle spielt.
Einige wenige Keime kommen aber weiter nur in Krankenhäusern vor?
Ja. Patienten, die sehr lange bei uns sind und beatmet werden, erhalten auch lange Antibiotika. Sie können als Konsequenz Resistenzen entwickeln. Außerdem gibt es bestimmte Patientengruppen, bei denen sich multiresistente Keime länger im Körper halten. Das sind beispielsweise Patienten mit chronischen Erkrankungen, die häufig Antibiotika erhalten.
Hat es Einfluss auf die Verbreitung multiresistenter Keime, dass derzeit viele Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland kommen?
Viele Flüchtlinge sind besiedelt, weil sie aus Hochrisikogebieten kommen – aber nicht, weil sie flüchten. In solchen Regionen kommen bestimmte Erreger häufiger vor als bei uns. Deshalb sind in diesen Gruppen mehr Menschen mit MRE besiedelt als in der Durchschnittsbevölkerung in Deutschland. Wir würden aber nie empfehlen, jeden zu screenen, der aus einem solchen Gebiet nach Deutschland kommt. Denn die Wahrscheinlichkeit, solche Keime zu haben, ist nur dann sehr hoch, wenn man dort etwa im Krankenhaus war.
Gibt es Probleme im System, die Ausbrüche begünstigen?
Es ist gut, dass mittlerweile Dinge wie etwa ein Hygienebeauftragter in allen Kliniken gesetzlich vorgeschrieben sind. Allerdings gibt es Luft nach oben beim Screening der Patienten. Das könnten selbstverständlich auch die Hausärzte tun. Aber dafür müssten wie beim MRSA auch andere MRE-Screenings erstattungsfähig sein. Das ist derzeit noch nicht optimal geregelt. Es wäre gut, wenn Hausärzte dann Patienten bereits auf MRE testen könnten, bevor sie diese etwa zu geplanten Operationen in ein Krankenhaus überweisen. Es geht auch nicht darum, die Betroffenen dann abzuweisen, sondern sich einfach optimal auf diese Patienten vorzubereiten.
Was kann ich als Patient tun?
Sehr viel. Vor geplanten Eingriffen sollte man mehr auf sich achten: weniger Rauchen, weniger Alkohol trinken, sich ein bisschen gesünder ernähren. Das hilft dem Immunsystem und stärkt etwa die Lunge, die bei einer Beatmung während einer Operation stärker beansprucht wird als im Alltag. Außerdem sollte man – wenn man dazu nicht zu krank ist – auf seine Körperhygiene achten: regelmäßig duschen, genug Leibwäsche mitnehmen ins Krankenhaus. Die Hände desinfizieren. Und man sollte Besuchern sagen: Wenn du krank bist, komm bitte nicht.