Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die Stellvertreter
Die Päpste, ihre Geschichte und ihre Geschichten – Große Ausstellung in Mannheim
MANNHEIM - Alles feiert Luther, Mannheim feiert die Päpste. Die Reiss-Engelhorn-Museen blicken auf 1500 Jahre europäischer Geschichte zurück. Die Ausstellung „Die Päpste und die Einheit der lateinischen Welt“ist ein gewaltiges Unterfangen – für die Macher und für die Besucher.
Die Ausstellung im Zeughaus nähert sich dem Thema in drei Schritten. Jedes Stockwerk ist einer Epoche zugeordnet – Spätantike, Mittelalter und Renaissance. Die Ausstellung endet mit dem Zeitalter der Reformation, als die konfessionelle Einheit zerbrach. Diese Dreiteilung entspricht den Leitfragen, wie sie der Heidelberger Mittelalterhistoriker Stefan Weinfurter im Katalog formuliert: „Wie ist das Papsttum entstanden? Wie hat es sich durch die wechselvollen Zeiten hindurch behauptet? Und welche Rolle spielt es in unserer Kultur?“
Exquisite Exponate
Die Vorbereitungen für die Ausstellung unter Leitung des emeritierten Professors Weinfurter laufen seit fünf Jahren. Vier wissenschaftliche Tagungen gingen voraus, die Ergebnisse wurden in mehreren Bänden publiziert. Der Katalog fürs Publikum wiegt drei Kilo: Auf 544 Seiten sind alle Exponate von einem Papyrus mit dem Glaubensbekenntnis von Nicäa bis hin zu Tizians berühmtem Porträt von Papst Julius II. von 1545 genauestens beschrieben. Und zu jedem Kapitel, angefangen bei Petrus und Paulus, bis hin zur Plünderung Roms durch marodierende habsburgische Söldner 1527 gibt Weinfurter eine historische Einordnung.
Neben der wissenschaftlichen Begleitung, wie man sie von den Reiss-Engelhorn-Museen gewohnt ist, zeichnen sich die Ausstellungen durch das Aufgebot exquisiter Exponate aus. Vom archäologischen Museum Venedig kommt die Capsella di Samagher (um 450). Dieses kleine Kästchen aus Ebenholz und Elfenbein ist ein exzellent gearbeitetes kleines Kunstwerk und die früheste Darstellung der sogenannten Petrusmemorie: Zwei Figuren, vielleicht Kaiser Konstantin und seine Mutter, stehen vor dem Eingang des Monuments, das über dem Grab des Apostels Petrus in Rom errichtet wurde. Die Erinnerung an den Ort, an dem der Apostel den Märtyrertod erlitten haben soll, spielt eine zentrale Rolle in der Begründung des Papsttums. Kaiser Konstantin ließ eine Basilika darüber errichten, die Ausstellung bietet eine filmische Rekonstruktion. Das Petrusgrab selbst hat der Archäologe Hugo Brandenburg im Erdgeschoss nachgebaut.
Die Erfindung von Tradition
Das Papsttum gründet auf Erzählungen – wie Christus die Apostel in die Welt sandte, wie Petrus und Paulus den Märtyrertod starben, wie Petrus die Schlüssel weitergab an den Bischof von Rom und der wieder an den nächsten. Die Institution rechtfertigte ihre Macht mit der Herleitung von Petrus und Christus. Wie einst die römischen Kaiser ließen die Bischöfe von Rom und später die Päpste Bildergalerien erstellen, um sich in eine ungebrochene Traditionslinie zu stellen. Besonders eindrucksvoll ist dies zu sehen am „Papst-Kaiser-Rotulus“. Die sieben Meter lange Pergamentrolle mit kleinen Miniaturen, um 1431–1433 entstanden, enthält eine Liste aller Päpste (auch die legendäre Päpstin Johanna ist aufgeführt) und Kaiser.
Frühe Schlüsseltexte
Wer durch die Ausstellung geht, begegnet Schlüsseltexten der Kirchengeschichte – wie dem ältesten Fragment der Vulgata-Übersetzung (400/420). Oder der Abschrift der sogenannten Konstantinischen Schenkung (um 1000), mit der die Päpste ihre weltliche Herrschaft begründeten. Schon 1433 hat sie der Humanist Nikolaus von Kues als Fälschung entlarvt. Der Kampf der Päpste gegen den Kaiser um die Vorherrschaft in der Welt beginnt im 11. Jahrhundert, im 12. haben sie ihn mit der Unterwerfung Barbarossas gewonnen. „Das 13. Jahrhundert zeigt dann das Papsttum auf dem Höhepunkt seiner Wirkkraft“, schreibt Weinfurter. Der Titel „Stellvertreter Christi“gehört seitdem „zum festen Formular der päpstlichen Kanzlei“.
Die Geschichte der Päpste ist auch eine Geschichte Roms. Wie hat die Stadt in der Antike ausgesehen, wie im Mittelalter, wie an der Schwelle zur Neuzeit? Die Ausstellung präsentiert dazu drei Filme, die die Stadt auf der Basis von archäologischen, kunsthistorischen und historischen Quellen in 3 D rekonstruieren. So kann man über das Forum Romanum zu Neros Zeiten wandeln oder den Bau des Petersdoms zu Zeiten des Papstes Julius II. erkennen.
Als dieser Papst im Herbst 1503 antrat, war sein Amt schon Zielscheibe von Kritik und Spott. Die Ausstellung präsentiert eine Satire aus der Feder von Erasmus von Rotterdam. Alle Vorwürfe, die die Reformatoren Julius II. machen sollten, Ämterkauf, Günstlingswirtschaft, Verschwendungssucht, Missachtung des Zölibats, all das brachte der Humanist zur Sprache.
Renaissance und Reformation
Apropos Verschwendungssucht: Ohne die Renaissancepäpste wäre Rom, wären wir um einige Kunstschätze ärmer. Dafür steht der Abguss der Laokoon-Gruppe in der Ausstellung. Denn es war eben jener Julius II., der seine Kunstexperten in die Weinberge auf dem Esquilin schickte, wo ein Bauer die Figurengruppe gefunden hatte: Der Architekt Giuliano da Sangallo und der Bildhauer Michelangelo Buonarotti sollen das berühmteste Kunstwerk der Antike sofort erkannt haben.
Was bei den Reformations-Ausstellungen am Anfang steht, markiert hier den Schluss: die Confessio Augustana, jene Schrift, die 1530 auf dem Reichstag in Augsburg versuchte, zwischen den Protestanten und der katholischen Kirche zu vermitteln. Die Vermittlung misslang. Die Confessio Augustana wurde zum zentralen Bekenntnis der lutherischen Kirchen. Die Einheit der lateinischen Welt hat so ihr Ende gefunden.