Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Gestatten, Arteon
Volkswagen präsentiert sein neues Topmodell – Der Arteon geht Mitte Juni an den Start
Nach Jahren des Facelifts, der Hege und Pflege wagt sich Volkswagen endlich wieder an ein neues Modell. Vor zwei Jahren auf dem Genfer Automobilsalon erstmals gezeigt, steht der Arteon als Gran Turismo ab Mitte Juni bei den Händlern. Die Preise für die fünfsitzige Coupé-Limousine beginnen bei 39 675 Euro. Für ein Topmodell mit standesgemäßer Basisausstattung scheint das erst einmal nicht zu hoch gegriffen. Doch wer auf die beiden höheren Ausstattungsvarianten „Elegance“oder die sportliche „R-Line“schielt und von den technischen Neuerungen profitieren will, die VW zum Teil exklusiv dem Arteon mitgibt, landet schnell jenseits der 50 000 Euro. Hier spielt dann die Musik in der Premiumklasse – und die dürfte dem Mitbewerber im eigenen Konzern, vor allem aber Mercedes und BMW in den Ohren klingeln.
Zum Start bietet VW drei Turbodirekteinspritzer an – einen 280 PS starken Benziner (TSI) und zwei Diesel (TDI) mit 150 und 240 PS. Drei weitere Motoren werden nachgereicht, unter anderem ein neu entwickelter 1.5-Liter-TSI, der besonders sparsam sein soll. Die angebotenen Triebwerke haben sich schon im Passat bewährt. Die konstruktive Basis des Arteon stammt aus dem FrontQuerbaukasten, den unter anderem auch der Golf nutzt. Doppelkupplungsgetriebe (DSG) sind bis auf den kleinen Benziner serienmäßig an Bord. Allradantrieb wird bei den stärksten Motoren ebenfalls mitgeliefert, optional ist eine dynamische Fahrwerksregelung (DCC), die dem Gran Turismo eine betont sportliche Note verleiht. Unterstrichen wird diese durch den fast 2,8 Meter langen Radstand und die bis zu 20 Zoll großen Räder. Das sind schon mal Ansagen, die ein Fahrerlebnis auf hohem Niveau erwarten lassen.
Doch der Arteon ist deshalb noch lange kein Kraftprotz. Sein Design kommt eher elegant daher, die Linienführung betont auf fast 4,9 Meter
Länge den athletischen Charakter. Von vorne macht der Arteon ein etwas finsteres Gesicht. Die Motorhaube reicht wie ein Lid über die LEDScheinwerfer, die nahtlos in den Kühlergrill übergehen und die Frontpartie sehr breit erscheinen lassen.
Frisches Design
Ein passendes Pendant zu der beeindruckenden Front bildet die Heckpartie mit flach abfallenden Linien und kräftigen Schultern. Türen und Seitenscheiben sind rahmenlos, die C-Säule ganz nach hinten gewandert, sodass die Limousine noch flacher und coupéhafter wirkt.
Auf den ersten Blick hebt sich der Arteon vom eher braven Volkswagendesign ab. Ob die Fließheck-Limousine den von Chefdesigner Klaus Bischof reklamierten „Willich-haben“Effekt hervorruft, bleibt abzuwarten. Im Werk im ostfriesischen
Emden ist man nach einer Absatzdelle beim Passat froh über das neue Modell. 150 Stück sollen erst einmal pro Tag in den europäischen Markt rollen. Ab 2018 werden dann auch die amerikanischen und asiatischen Märkte bedient.
Wer im Arteon Platz nimmt, ist zunächst nicht besonders überrascht. Ambiente, Instrumente und Bedienelemente sind aus dem Passat bekannt. Bis auf die Uhr über der Mittelkonsole tickt alles digital. Das optionale 9,2 Zoll-Display reagiert sogar auf Gesten. Alle Instrumente werden in einem 12,3 Zoll großen Infodisplay angezeigt. Zusätzlich gibt es auch ein Head-up-Display, das auf einer ausfahrbaren Glasscheibe alle wichtigen Infos ins Gesichtsfeld des Fahrers spiegelt. An Möglichkeiten der Vernetzung und Infotainment fehlt es ebenfalls nicht. Die Sitze sind bequem und langstreckentauglich,
die Materialien hochwertig, die Verarbeitung makellos. Im Fond haben drei Erwachsene genügend Platz und selbst groß gewachsene Leute müssen weder um Kopf noch um Knie bangen.
Unter der großen Heckklappe gibt es erstaunlich viel Stauraum: 563 Liter sind für eine Limousine großzügig, mit geklappten Rücksitzen wächst das Volumen auf 1557 Liter. Damit könnte der Arteon sogar einen Kombi ersetzen.
Neue Assistenten an Bord
Wirklich innovativ und in der Klasse wegweisend sind die Assistenten, die VW seinem Topmodell verpasst hat. Sieben dieser Systeme kommen im Arteon in einer signifikant weiterentwickelten Generation zum Einsatz, versichert Projektleiter Ralf Fruet bei der Fahrvorstellung in Hannover. Auf knapp 200 Kilometern haben wir die automatische Distanzregelung (ACC) ganz neu kennen und schätzen gelernt. Sie bremst und beschleunigt nicht nur und hält brav Abstand zum Vordermann, sondern nutzt Daten aus dem Navigationssystem, den Radarsensoren und der Kamera in der Frontscheibe, um auch vor Kurven, Kreisverkehren oder Kreuzungen einzubremsen. Tempolimits hält sie exakt ein und setzt das Auto nach einem Stopp automatisch wieder in Bewegung. Kaum je fuhren wir entspannter über Land. Nur lenken muss man den Arteon noch eigenhändig, aber selbst dabei sind Helfer zur Stelle. Progressivlenkung, Spurhalteassistent und Parkassistent machen aus dem Manövrieren des 1,8 Tonnen schweren Gefährts eine eher spielerische Übung. Gewiss, man braucht Vertrauen in die Armada von Systemen, aber das wächst mit der Anwendung.
Auf den Test des Emergency Assistent, der im Notfall eingreift, und des proaktiven Insassenschutzsystems haben wir allerdings gerne verzichtet, sind aber von ihrer Funktionsweise angetan. VW kombiniert analog zum neuen ACC die verschiedenen Systeme so intelligent, dass im Fall eines Totalausfalls des Fahrers das Auto unter Berücksichtigung des Verkehrs selbstständig auf die rechte Spur steuert und anhält. Steht der Arteon im Stau oder an einer roten Ampel und ein anderes Fahrzeug droht aufzufahren, kann das PreCrash-System mittels Radar die Wahrscheinlichkeit eines Auffahrunfalls ermitteln. Zuerst wird die Warnblinkanlage aktiviert, dann werden die Fenster bis auf einen kleinen Spalt geschlossen, damit sich sich die Airbags optimal entfalten können, die Gurte werden gestrafft und die optional elektrisch verstellbaren Vordersitze justiert.
Flotter Sprinter
Der Arteon lässt sich mit der starken Motorisierung sportlich bewegen. Große Spurweiten verleihen ihm eine gute Querdynamik, kombiniert mit dem weiten Radstand läuft das Auto stabil und harmonisch. Die Federung fühlt sich selbst im Komfortmodus aber recht straff an. Der 2.0 TSI erweist sich als flotter Sprinter und beschleunigt in 5,6 Sekunden auf 100 Stundenkilometer. Den kombinierten Verbrauch gibt VW mit 7,3 Liter an. Der 2.0 TDI ist ein Kraftprotz und entwickelt ein Drehmoment von 500 Nm zwischen 1750 und 2500 U/min. Sein kombinierter Verbrauch liegt bei 5,9 Liter.
Den Titel „Edel-Passat“wollen die Wolfsburger dem Arteon nicht verleihen. Auch als direkten Nachfolger des CC oder gar Ersatz für den Phaeton lassen sie ihn nicht gelten. „Wir haben in den vergangenen vier Jahren ein ganz eigenständiges Modell entwickelt, das technisch mit den beiden wenig gemein hat, im Markt aber genau dazwischen platziert ist“, lässt sich Projektleiter Fruet eine Einordnung entlocken.