Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Festakt bei Voith zum Jubiläum
Der Maschinen- und Anlagenbauer Voith wird 150 Jahre alt – Festakt in Heidenheim
HEIDENHEIM (ank) - Heute ist Voith ein weltweit agierender Technologiekonzern. Die Ursprünge hat das Unternehmen vor 150 Jahren in einer Heidenheimer Schlosserwerkstatt und in einer Erfindung mit typisch schwäbischen Eigenschaften: einer Holzschleifmaschine, die günstig hochwertiges Papier herstellt. Hinzu kamen Turbinen, Getriebe und Kupplungen. Diese Firmengeschichte feierte Voith mit einem Festakt zum Jubiläum – und einer MillionenSpende.
HEIDENHEIM/RAVENSBURG - Alles beginnt in einer Schlosserei in Heidenheim. Es herrscht Aufbruchstimmung, damals, in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die industrielle Revolution ist auch auf der Ostalb zu spüren. Sie beschert Heidenheim einen rasanten Aufschwung und reißt auch den Schlosser Johann Matthäus Voith mit. Zusammen mit dem Papierfabrikanten Heinrich Völter entwickelt Voith eine Holzschleifmaschine mit der hochwertiges und kostengünstiges Papier hergestellt werden kann.
Bis dahin sind gebrauchte Textilien, sogenannte Hadern und Lumpen, der übliche Rohstoff zur Papierherstellung. Doch sie werden knapp angesichts der hohen Nachfrage nach Papier. Mit seinem Holzschleifer schreibt Voith Industriegeschichte. Er bereitet damit nicht nur den Weg zur industriellen Papierproduktion. Er legt auch den Grundstein für eines der größten deutschen Familienunternehmen, das in Heidenheim daheim, doch in der Welt zu Hause ist.
Vater-Sohn-Konflikt
Dabei wäre die Geschichte von Voith in Heidenheim um ein Haar vorbei gewesen, noch ehe sie begonnen hatte. Zwar ist es Johann Matthäus Voith, der mit seiner Erfindung den Grundstein legt. Doch sein Sohn Friedrich ist es, der das Potential erkennt. Differenzen zwischen Vater und Sohn führen dazu, dass Friedrich Heidenheim verlassen und ausreisen will. Die Koffer sind gepackt. Was dann geschah ist nicht überliefert. Nur soviel: Friedrich geht nicht, er heiratet, wird sesshaft und bekommt am 1. Januar 1867 den väterlichen Betrieb überschrieben.
Heute, 150 Jahre nach der offiziellen Gründung der Firma J. M. Voith, ist das Unternehmen der Inbegriff für Papiermaschinen. Ein Großteil der weltweiten Papierproduktion wird auf Voith-Anlagen hergestellt. Doch Voith darauf zu reduzieren, griffe zu kurz. Schon in den frühen Jahren, unter der Leitung von Friedrich, expandiert das Unternehmen in neue Geschäftsfelder und beweist dabei stets ein feines Gespür für Markttrends.
Der Bau von Wasserturbinen wird ab dem Jahr 1870 zum zweiten Standbein der Heidenheimer. Sie prägen damit maßgeblich die Elektrifizierung – und zwar weltweit. Mit der Lieferung von zwölf Turbinen an die Kraftwerksgesellschaft an den Niagarafällen zwischen 1903 und 1912 ist Voith an dem zur Jahrhundertwende weltgrößten Wasserkraftwerksprojekt beteiligt.
Als dritte Säule kommt später die Antriebstechnik hinzu – Lkws, Busse, Bahnen und Schiffe weltweit fahren heute mit Kupplungen und Getrieben von Voith. Ein Beispiel für den Erfindungsreichtum der „Voithianer“auf diesem Gebiet ist der Voith-Schneider-Propeller: Ein Antrieb unter dem Schiff, mit dem Schub nach allen Richtungen und in jeder beliebigen Dosierung präzise und schnell erzeugt werden kann und der den Schiffen höchste Manövrierfähigkeit erlaubt.
Schwere Jahre
Diese Manövrierfähigkeit muss inzwischen auch Voith selbst unter Beweis stellen. Wenn Voith hustet, ist Heidenheim krank, sagen die Menschen auf der Ostalb in und um Heidenheim. Die Stadt, die Region und der weltweit agierende Maschinenund Anlagenbauer gehören zusammen und sind voneinander abhängig. In Heidenheim bietet Voith 4500 Arbeitsplätze mit der Entwicklung von Papiermaschinen, Wasserkraft-Turbinen sowie Antrieben für Lkw, Bus, Bahn und Schiff. „Man schafft beim Voith“heißt es in Heidenheim, ähnlich wie das für Stuttgart und Daimler gilt. Die Verbundenheit mit dem Arbeitgeber ist groß, die Voithianer fühlen sich als Familie.
Doch in den vergangenen Jahren gab es auch reichlich Krach in dieser Familie. Die Schwaben wissen zwar alles über Getriebe, über Rotoren und Generatoren. Voith aber ist ein Unternehmen der alten, der mechanischen Welt. Wer Anlagen und Maschinen auch in Zukunft an die Kunden bringen will, muss sich ebenso auf Software, Internet und Sensoren verstehen. Doch Digitalisierung und Vernetzung von Fabriken war dem Traditionskonzern lange fremd, wie so vielen deutschen Industriebetrieben.
Die Papiermaschine steht sinnbildlich für die Machtverschiebung im Maschinenbau. Über Generationen wurde Voith ob seiner hochwertigen Anlagen gerühmt – nun will diese technischen Wunderwerke kaum noch jemand haben. Weil immer weniger Kataloge, Zeitungen oder Prospekte gedruckt werden, entwickeln sich ausgeklügelte grafische Papiermaschinen zu Ladenhütern. „Der Markt ist tot“, stellte Konzernchef Hubert Lienhard bereits Ende 2013 fest.
Damals schreckte der bedächtige Manager noch vor einem Kahlschlag zurück – auch weil sich Familienunternehmen mit personellen Grausamkeiten schwerer tun als börsennotierte Konzerne. Doch ein gutes Jahr später holt Voith die Realität ein: Spartenverkäufe, Standortschließungen und Stellenabbau – das Ausmaß der Krise und die daraufhin folgenden Einschnitte erschütterten selbst Pessimisten.
Neue Chancen
Mittlerweile ist die Zeit der Schreckensnachrichten vorbei, die Rosskur scheint sich auszuzahlen. Daran haben die Arbeitnehmer großen Anteil. Am Standort Heidenheim arbeitet heute jede und jeder Beschäftigte aus Solidarität mehr und schenkt der Firma dreieinhalb Stunden ohne Bezahlung. Die Papiermaschinenproduktion konnte so auf der Ostalb gehalten werden. Andere Standorte, etwa in Ravensburg, wurden gestutzt, viele Arbeitsplätze gingen verloren.
Jetzt will Unternehmenschef Lienhard Voith ins digitale Zeitalter führen. Die Ingenieure und Erfinder sollen auch künftig Maschinen und Anlagen konstruieren – allerdings vernetzt und mit Sensoren ausgestattet. Erste Anwendungen gibt es bereits. Ein „elektronisches Ohr“etwa, das in Wasserkraftwerken zum Einsatz kommt, und das aus Kraftwerksgeräuschen Probleme erkennt, bevor es zum Stillstand der Turbine kommt. Papiermaschinen sollen künftig autonom melden, wann eine Wartung ansteht und welches Teil kurz vor dem Verschleiß steht. Mit der neuen Technologie, die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“bekannt ist, könnten Fertigungsprozesse künftig so vernetzt werden, dass sie sich selbst steuern.
„Wir waren vor 150 Jahren die Wegbereiter der ersten industriellen Revolution“, sagt Unternehmenschef Lienhard. „Jetzt wollen wir die Gestalter der vierten industriellen Revolution werden.“Die Chancen stehen gut, dass Voith das gelingt.