Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende
Kris Kristofferson zieht beim Freiburger Zeltmusikfestival eine bewegende Bilanz seines Musikerlebens
FREIBURG - Mit Legenden ist das immer so eine Sache: Wenn man sie im fortgeschrittenen Alter noch einmal auf der Bühne erlebt, braucht es oft einiges an gutem Willen und nostalgischer Verklärung, um den Auftritt in ein positives Licht zu rücken. Auch bei Kris Kristofferson hatte man vorab etwas Bedenken. Immerhin ist der Mann schon 81 Jahre alt, sein vor fünf Jahren veröffentlichtes letztes Album mit neuen Songs hieß „Feeling Mortal“, thematisierte also die eigene Sterblichkeit.
Am Dienstagabend hatte er bereits im ausverkauften Ulmer Zelt gespielt. Als er dann am Donnerstagabend beim Freiburger Zeltmusikfestival die Bühne betrat, wirkte er zunächst recht gebrechlich und auch die Stimme beim ersten Song „Shipwrecked in the 80’s“etwas brüchig. Aber kurz darauf wurde schnell klar, dass bei Kristofferson noch lange nicht Ende Legende ist: Der Sänger zog das Publikum im gut gefüllten Zelt in seinen Bann und die vielen vertrauten Songs erhielten vor dem Hintergrund seines bewegten Lebens noch einmal ein besonderes Gewicht.
Hubschrauber-Pilot, Songschreiber in Nashville, eigener Erfolg als Sänger, Filmkarriere mit Klassikern wie „Pat Garrett jagt Billy the Kid“, Alkoholexzesse, drei Ehen, acht Kinder – eines Tages dürfte Kristoffersons Werdegang sicher den Stoff für eine packende Filmbiographie liefern. Noch spielt der leidenschaftliche Marihuana-Raucher aber selbst unverdrossen die Rolle seines Lebens: Die des abenteuerlustigen Outlaws, die Verkörperung einer charmant-rauen Männlichkeit, mittlerweile auch gepaart mit einer versonnenen Altersweisheit. Über all dem steht die Devise „Ich bereue lieber die Sachen, die ich getan habe, als die, die ich versäumt habe“, wie Kristofferson schon 1974 in „I’d Rather Be Sorry“sang.
Kein Wunder, dass auch ein kompletter Motorradclub angereist war, um dem Texaner Tribut zu zollen. Zuerst betraten aber „Rocket to Stardom“die Bühne, eine Rock’n’RollCoverband von Kristofferson-Songs aus Düsseldorf. Das respektvolle Trio wird vom Meister offenkundig geschätzt, und darf ihn dann auch noch bei einigen gemeinsamen Songs begleiten, darunter gleich an dritter Stelle „Me and Bobby McGee“, den Janis Joplin in ihrer Version unsterblich machte. Einen solchen Klassiker so früh im Programm zu bringen ist natürlich auch eine Aussage: Ich habe noch viel mehr zu bieten.
Ein Mann und seine Gitarre
Und das hatte Kristofferson, denn nach dem Abgang der Rockets stand da nur noch ein Mann mit seiner Gitarre auf der Bühne. Ansagen sparte sich der Sänger weitgehend, schließlich erzählt er mit seinen Songs bereits reichlich Geschichten. Und das Publikum lauschte andachtsvoll all den Stories über einen verkaterten Sonntagmorgen („Sunday Morning Coming Down“), die Begegnung mit dem Teufel in einer Taverne („To Beat The Devil“), eine große Liebe seit Kindheitstagen („Jody And The Kid“) und das Alter Ego des Erzählers, das voller übler Absichten steckt und vielleicht sogar mit diesem identisch ist („The Silver Tongued Devil“).
Besonders bewegend fallen dabei die reflektiert zurückblickenden Songs wie das Titelstück vom erwähnten „Feeling Mortal“-Album aus. In so manche Gesichter steht dabei geschrieben, dass deren Träger gerade ebenfalls eine kurze Bestandsaufnahme des eigenen Lebens vornehmen. Handyschwingende Massen finden sich somit kaum, nur gelegentlich wird fast schuldvoll eine Kamera gezückt. Und wenn die ersten Zeilen von besonders bekannten Songs wie „Help Me Make It Through The Night“erklingen, geht es in kollektives Seufzen durch das Zelt.
Ein im klassischen Sinne großer Sänger war Kristofferson nie, setzte seinen Bariton aber stets effektiv ein. Das hat sich auch im fortgeschrittenen Alter nicht geändert. Gelegentlich vergreift er sich auf seiner Gitarre, lächelt dies aber gekonnt mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck weg, wodurch er wie der ältere Bruder von Schauspieler Jeff Bridges wirkt.
Am Ende seines stolze 26 Songs umfassenden Programms bittet der Sänger die Rockets nochmal auf die Bühne und setzt mit „Please Don’t Tell Me How the Story Ends“den dramaturgisch perfekten Schlusspunkt: Dies könnte unser letztes Aufeinandertreffen sein, erzählt er dabei dem Publikum, aber lasst es uns genießen, bis es vorbei ist – oder für immer. Auch mit 81 Jahren ist Kristofferson unverändert gespannt darauf, wie seine Geschichte weitergehen wird.