Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Es gab schon einmal glorreichere Tage“
DJ und Produzent Fritz Kalkbrenner über die deutsche Musiklandschaft
Mit „Sky and Sand“haben Fritz und Paul Kalkbrenner einen gemeinsamen großen Hit geschaffen. Warum es aber wohl nie wieder eine Zusammenarbeit der Brüder geben wird, wie das Leben als DJ auf Tour ist und warum es um die deutsche Musiklandschaft momentan nicht so gut steht, erklärt Fritz Kalkbrenner im Interview mit Marvin Weber.
Nach deiner Show beim Southside trittst du diesen Sommer unter anderem noch beim Sziget-Festival auf. Spielst du auf Festivals andere Songs als bei einem üblichen Konzert?
Auf jeden Fall weniger. Ein normales Konzert geht zweieinhalb Stunden. Das ist natürlich auf einem Festival nicht möglich. Der Auftritt ist wesentlich komprimierter.
Ist die Songauswahl dann auch eine andere?
Bei einem Konzert kannst du dir auch mal langsamere und leisere Zwischentöne leisten. Auf dem Festival greifen die Songs schon sehr schnell ineinander über.
Was ist dir lieber: Festival oder Hallenkonzert?
Arbeitstechnisch gesehen ist das Festival immer das Schönste. Man kann sich einfach ins gemachte Nest setzen. Wenn man dann aber den Sommer über 27 Konzerte auf Festivals gespielt hat, hast du wieder richtig Bock auf ein Konzert in einem 200-Zuschauer-Laden in Kolumbien.
Wie viele Tage bist du in Hochzeiten im Jahr unterwegs?
Dann habe ich bestimmt rund 270 Showtage. Bis auf ein paar bestimme Wochenenden, die ich mir vorab freihalte, ist das Jahr dann schon ziemlich durchgeplant. Selbst einige Familientermine müssen dann hinten anstehen.
Ist das nicht anstrengend?
Man muss natürlich schon Bock drauf haben. Vor zwölf Jahren hätte ich mir so ein voll gepacktes Jahr auch nicht vorstellen können. Man wächst in seine Aufgaben rein.
Aber dann hast du auch immer wieder Phasen der Erholung?
In der elektronischen Branche ist der Januar der Monat, in dem man komplett den Stecker ziehen kann und etwas Zeit für sich hat.
Wie darf man sich dein Leben als DJ vorstellen?
Harte Arbeit und die Welt sehen.
Also keine ausschweifenden Partys nach der Show?
Nicht, wenn man auf die 40 zugeht, dann geht es meistens direkt nach der Show ins Bett. Früher war das natürlich anders. Ich hab bisher in meinem Leben rund 1300 Shows gespielt. Der Hunger nach einer großen Feier ist auf jeden Fall gestillt. Es krachen zu lassen, ist echt etwas für die jüngere Generation.
Wie lang kann man den Job überhaupt machen?
Gute Frage. Wenn man auf sich aufpasst schon ziemlich lange. Sven Väth oder DJ Ralf aus Italien sind beide schon über 50 Jahre alt. Mit Vollgas hält man höchstens bis 40 durch.
Du hast früher auch als Musik- und Kulturjournalist gearbeitet. Hast du dadurch einen anderen Blickwinkel auf das Handwerk?
Man kann es auf jeden Fall dezidierter und mit etwas mehr Distanz betrachten.
Und wie fällt dein Urteil zur aktuellen Lage der Musiklandschaft in Deutschland aus?
Nicht gut, ist aktuell schwierig. Die deutsche Poplandschaft mit Revolverheld und Co. ist nicht mein Fall. Es gab schon einmal glorreichere Tage. Es spielt wohl schon eine Rolle, dass drei Major-Labels die Branche beherrschen.
Das Berliner Electro-Trio Moderat sagt, dass sich auch die elektronische Musik in einer Depression befindet.
Viele Künstler schaffen es nicht mehr, ihren eigenen Stil zu entwickeln, eine eigene Schublade für sich zu definieren. Bei Moderat ist das noch der Fall. Es gibt beispielsweise aber auch viele Deephouse-Singles, die klingen, als seien sie bereits zigfach veröffentlicht worden.
Du bist gebürtiger Berliner. Wie ist dein Verhältnis zur Hauptstadt?
Es gibt eine Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, die gibt es aber nicht mehr. Das bricht mir manchmal ein bisschen das Herz. Berlin ist saturiert. Vom Sommer 1990 und dem Lebensgefühl zu der Zeit hat die Stadt ewig gezehrt, das ist aber mittlerweile nicht mehr der Fall.
Wie ist es einen mindestens genauso berühmten Bruder zu haben? Gibt es da immer nur familiäre Zusammenarbeit oder auch einmal Konkurrenzkampf?
Ein gewisses Konkurrenzdenken hat es früher vielleicht einmal gegeben. Auch die Interaktion war vor einigen Jahren noch intensiver. Heute ist das anders: Selbst wenn mein Vorschlag gut wäre, würde Paul ihn nicht annehmen. Weil er es nicht nötig hat. Ich bräuchte ihn bei einem neuen Song auch nicht auf eine besondere Stelle hinweisen, weil er sie ohnehin herausfiltern würde. Dann schauen wir lieber zusammen Fußball, das ist entspannter.
Also ist nach „Sky and Sand“nicht noch einmal ein großer gemeinsamer Hit denkbar?
Das ist eher unwahrscheinlich.
Du hast bisher im Zweijahresrhythmus ein neues Album veröffentlicht. 2018 wäre es ja dann wieder soweit.
Es wird auch schon wieder fleißig an einem neuen Album gebastelt. Dass die Alben bisher in diesem Abstand erschienen sind, ist aber eher ein Zufall. Ich würde mich jetzt aber ungern auf ein Datum festlegen. Aber ein neues Album im nächsten Jahr ist nicht unrealistisch.
Wie entstehen denn Songs bei dir?
Meistens ist die Produktion in Gänze da und dann legt sich der Text darüber. Aber da findet auch noch einmal ein Trennungsprozess statt, ob die Lyrics überhaupt zum Stück passen oder ob es eher eine härtere Clubnummer ganz ohne Text wird.
Also spielen Lyrics eher eine untergeordnete Rolle?
Nein, das würde ich nicht einmal sagen. Das ist einfach ein anderer Ablauf. Manchmal diktiert die Musik dann auch den Text. Wenn du sehr viele getragene Akkordwechsel in Moll hast, kannst du natürlich keine Gute-Laune-Nummer daraus machen.
Holst du dir auch Inspiration in anderen Musikrichtungen?
Privat höre ich eigentlich überhaupt keine elektronische Musik. Meine Plattensammlung ist groß und geht querbeet durch alle Genres. Ab und zu kann Musik hören in der Freizeit aber auch anstrengend werden, wenn du zu didaktisch bist und die Songs zu sehr in ihre Bestandteile zerlegst und analysierst.