Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Wir wurden zurückgeworfen“
RAVENSBURG (abra,dg, lua, mö, sle) - Der Putschversuch in der Türkei hat zu Brüchen innerhalb der türkischen Gemeinde in Deutschland geführt, die sich in Erdogan-Anhänger und -Gegner trennt. Viele wollen sich nicht äußern oder sind zurückhaltend, wie Mutlu Erdömnez aus Friedrichshafen. Er ist seit dem Putsch vorsichtiger geworden, was er in sozialen Netzwerken schreibt. Die aktuelle Lage gefällt ihm gar nicht: „Wir Türken in Deutschland wurden akzeptiert. Aber seit die Situation zwischen der Türkei und Deutschland beziehungsweise der EU zerrüttet ist, werden wir wieder kritisch betrachtet“, sagt der 38-Jährige, der beim Automobilzulieferer ZF arbeitet. „Wir wurden zurückgeworfen.“Er selbst möchte seine politische Haltung nicht explizit nennen, verrät aber, sich an Mustafa Kemal Atatürk zu orientieren. „Sehr, sehr traurig“nennt Haydar Süslü aus Ulm den Zustand der Demokratie in der Türkei. Der 53-jährige Arzt mit türkischen Wurzeln ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Ulmer Gemeinderat: „Politisch und ideologisch war früh abzusehen, dass sich die Türkei in die jetzt bestätigte Richtung entwickeln würde“, sagt er. Die Türkei sei als „Pufferstaat“zwischen Europa und dem unsichereren Nahen Osten instrumentalisiert worden, etwa in der Nato. Weiter seien die Türken immer wieder vertröstet worden, als die Aufnahme in die Europäische Union verhandelt wurde: „Politisch und wirtschaftlich ist die Türkei von der westlichen Politik nicht wahr- und ernst genommen worden, sie wurde quasi ignoriert!“Süslü stellt aber auch klar: „So, wie die Türkei jetzt regiert wird, ist es nicht akzeptabel, das ist keine Frage.“Wie sehr die türkische Gemeinschaft zerrissen ist, zeigen diese Beispiele: Tarkan Yildiz, 37, betreibt einen Dönerladen in der Aalener Innenstadt – und findet klare Worte für die türkische Regierung: „Ich schäme mich für mein Land!“Yildiz war selbst beim Militär: „Im Nachhinein habe ich nur dafür gekämpft, dass verschiedene Politiker reich werden.“Ein junge Türkin mit Kopftuch aus Ravensburg, die anonym bleiben will, sagt dagegen: „Wenn der Putsch erfolgreich gewesen wäre, dann hätten wir heute kein Land mehr. Erdogan hat richtig gehandelt.“
Akin Eski (40) aus Rietheim, Mitglied der Spaichinger Ditib-Moschee, sieht es so: „Es macht mich traurig, dass ich immer wieder sehen kann, wie deutsche Politik die türkische Situation schlechtredet. Wenn hier alle möglichen türkischen politischen Gruppierungen sich betätigen dürfen, aber der gewählte Staatspräsident nicht reden darf, dann kann ich das nicht verstehen. Wir sehen natürlich, dass in der Türkei nicht alles gut läuft. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es sich um einen Putschversuch gehandelt hat. Die Situation jetzt ist nicht schön, es wäre mein Wunsch, dass es mehr Freiheit und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit gibt. Wir dürfen aber nicht vergessen: Es ist im Moment eine Ausnahmesituation.“