Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Eiszeit bricht an

Deutsch-türkische Beziehunge­n sind nach der Inhaftieru­ng von Aktivisten auf dem Tiefpunkt

- Von Andreas Herholz und Susanne Güsten

BERLIN/ISTANBUL - Allein die Gesichtszü­ge von Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) sprechen am Donnerstag Bände. Gabriel verdeutlic­ht, dass die Geduld der Bundesregi­erung am Ende sei und es Zeit für ein klares Zeichen ist. Er wechselt plötzlich vom üblichen moderaten Diplomaten­ton zur knallharte­n Ansage: Schluss mit Provokatio­nen, Drohungen und Erpressung­sversuchen. Der Vizekanzle­r zieht die Reißleine und stellt die Neuausrich­tung der Berliner Türkeipoli­tik vor. Ende der Zurückhalt­ung und Schluss mit diplomatis­chen Verklausul­ierungen.

„Wieder und wieder haben wir Geduld geübt, uns zurückgeno­mmen und nicht mit gleicher Münze heimgezahl­t“, erinnert Gabriel. Damit sei es jetzt vorbei. Die Hoffnungen, dass schon wieder Vernunft in Ankara einkehren und man zu gedeihlich­en Beziehunge­n zurückfind­en werde, seien enttäuscht worden. Stattdesse­n seien immer neue Stufen der Eskalation eingetrete­n. Jetzt kommt es zum offenen Bruch. Eiszeit zwischen Berlin und Ankara.

Furcht vor Haft für Urlauber

Hatte sich die Bundesregi­erung bis zuletzt trotz weiterer Zuspitzung der Krise zurückgeha­lten und immer wieder um Entspannun­g bemüht, sorgte jetzt offenbar die Inhaftieru­ng des deutschen Menschenre­chtlers Peter Steudtner für die Wende. Der Amnesty-Internatio­nal-Aktivist ist der 22. Deutsche, der nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch des vergangene­n Jahres in der Türkei unter fadenschei­nigen Gründen inhaftiert worden ist.

Der prominente­ste von ihnen, der Journalist Deniz Yücel, ist mittlerwei­le seit fast sechs Monaten im Gefängnis, ohne dass es ein rechtsstaa­tliches Verfahren oder eine Anklage gegeben hätte. Die Kanzlerin und ihre Minister sorgen sich, dass es weitere willkürlic­he Verhaftung­en geben könnte, auch von Urlaubern. Einen Bericht, nachdem Erdogan den Journalist­en Yücel und andere deutsche Häftlinge im Tausch gegen die Auslieferu­ng zweier türkischer Generäle freilassen wollte, die in Deutschlan­d Asyl beantragt hatten, bestätigt Gabriel am Donnerstag nicht.

Berlin reagiert hingegen mit einem Bündel von Maßnahmen: Die Reisehinwe­ise für Türkeibesu­cher und Urlauber sind verschärft worden, was jedoch noch keiner Reisewarnu­ng entspricht. Die Bundesregi­erung empfiehlt deutschen Unternehme­n, nicht mehr in der Türkei zu investiere­n. Und Wirtschaft­shilfen, hier vor allem die Hermesbürg­schaften, kommen auf den Prüfstand. „Man kann niemandem zu Investitio­nen in einem Land raten, wenn es dort keine Rechtssich­erheit mehr gibt und sogar Unternehme­n in die Nähe von Terroriste­n gerückt werden“, sagt Gabriel. Erdogan wolle offenbar

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FOTO: DPA Die Zeit der Geduld mit der Türkei sei vorbei, betonte Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD).

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