Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Schleifung eines Heiligtums Die Lippen des Startrompeters Till Brönner
Das moderne Regietheater hat den Salzburger „Jedermann“heimgesucht
SALZBURG - So einen „Jedermann“hat Salzburg noch nicht gesehen. Der zerrüttete Protagonist mit Schizophrenieschub auf der Intensivstation, eine Buhlschaft ohne Sex-Appeal – und die berühmten Jedermann-Rufe, schaurige Todesverkündung, schon zum Prolog des Stücks, gleichsam als Motto: Der österreichische Regisseur Michael Sturminger hat Hugo von Hofmannsthals Dauerbrenner der Festspiele einer radikalen Neudeutung unterzogen.
Wegen eines Unwetters musste die Premiere am Freitagabend dazu auch noch vom Domplatz ins Große Festspielhaus verlegt werden. Doch das Publikum nahm die Schleifung des Nationalheiligtums gelassen. Riesenjubel gab es für den neuen Jedermann, Tobias Moretti. Der Applaus für Regisseur Sturminger fiel deutlich schwächer aus, aber Buhs blieben aus.
Eine verzagte Titelfigur
Gleich zu Beginn des Abends wird klar, dass Moretti alles andere ist als ein Jedermann alter Schule. Seine Stimme klingt brüchig und verzagt, seine Beziehung zur Buhlschaft ist kühl und leidenschaftslos, seine Fröhlichkeit aufgesetzt. Bei der Bankettszene, die eher einem Neureichen-Buffet ähnelt, hält er sich gequält die Ohren zu. An dieser Stelle ertönen sonst die Domglocken, begleitet von den Jedermann-Rufen, und künden vom nahen Tod des reichen Mannes.
Doch diesmal spielt sich das alles nur in Jedermanns Kopf ab. Man ahnt: Dieser Jedermann ist nicht von Gott und seinen Freunden, sondern von allen guten Geistern verlassen. Später liegt er in einem Krankenhausbett – hinten an der Kulisse der Domwand, deren Umrisse mit Neonröhren gleichsam verdoppelt sind, flackern grün die Signale eines Elektrokardiogramms.
Sämtliche Akteure tragen in dieser Neuinszenierung Alltagskleider. Jedermanns guter Gesell, recht machohaft gespielt von Hanno Koffler, ist eine Mischung aus Kumpel und Bodyguard, der Tod ein tätowiertes Mischwesen aus Mann und Frau, der Mammon ein goldflittriges Krümelmonster, und vom Teufel (wieder Hanno Koffler) weiß man nicht so recht, was der hier eigentlich zu suchen hat. Bühnentechnik spielt eine wesentlich größere Rolle als jemals zuvor, auch einen Vorhang gibt es.
Die kniffligste Frage ist die Turbobekehrung des Jedermann vor dem Gang ins Grab. Sturminger bietet eine radikal säkularisierte Lösung: Sein Jedermann wird nicht durch den Glauben erlöst, sondern durch die Liebe, allerdings nicht die zu seiner Buhlschaft, sondern zu der Figur der Guten Werke (Mavie Hörbiger), die er erst auf dem Krankenbett kennenlernt. Was von Gott und Glauben noch übrig ist, sind die Predigten eines Geistlichen (Johannes Silberschneider) und die Erinnerungen einer bigotten Frau, Jedermanns Mutter (Edith Clever). Am Ende lässt sich Moretti vom Tod nicht willenlos abführen, sondern drückt ihm, jetzt erst wirklich selbstbewusst, den Todeskuss auf den bleichen Mund.
Die radikal aufklärerische, nüchtern-demokratische Konzeption dieser „Jedermann“-Premiere ist durchaus stimmig. Doch es ist auch eine arg entzauberte, geheimnislose Sicht des traditionsreichen Stoffes. Selbst dessen latenter Antikapitalimus spielt keine Rolle mehr. Die ganze illustre Mannschaft macht einen blassen Eindruck, sogar Stefanie Reinspergers Buhlschaft in einem rekordverdächtig unattraktiven Kostüm. Und die eigentümlichen Hofmannsthalschen Knittelverse wirken jetzt erst richtig verstaubt.
In die Gegenwart verpflanzt
Bislang hatte sich in Salzburg niemand getraut, den „Jedermann“so radikal in die Gegenwart zu verpflanzen. Die Regisseure hielten mehr oder weniger fest an den ehernen Traditionen, die der Festspielgründer Max Reinhardt in den 1920erJahren kodifiziert hatte: das gravitätische Spiel, die deklamatorische Sprache, die Dominanz der Domkulisse als Bastion des Glaubens.
Am weitesten vorgewagt hatte sich 2013 das britisch-amerikanische Regieduo Brian Mertes und Julian Crouch. Ihre an Puppen- und Straßentheater erinnernde Inszenierung mit einem Hauch Esoterik sollte ursprünglich dieses Jahr noch einmal aufgelegt werden. Doch daraus wurde nichts. So bekam Sturminger seine Chance – und nutzte sie für einen Neuanfang.
(Foto: dpa) sind höher versichert als sein Instrument. Das verriet der 46-jährige Musiker der „B.Z.“. „Aber es ist der hilflose Versuch, sich überhaupt gegen etwas zu versichern“, fügte Brönner hinzu. Auf die Frage, ob er Angst vor Lippenverletzungen habe, sagte der Jazzmusiker: „Ich passe auf. Zum Beispiel beim Essen, dass ich mir nicht die Lippen verbrenne.“(dpa)