Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Arzt wegen Verkauf von Viren verurteilt
Verbindung zu ausgebrochener Pockenerkrankung – Zwei Jahre Haft auf Bewährung
LINDAU - Offiziell hatte der Arzt aus dem Landkreis Lindau nur ein Forschungslabor betrieben. Doch bei einer Kontrolle vor drei Jahren ist alles aufgeflogen: Jahrelang hatte der Mann sogenannte onkolytische Viren gezüchtet und sie an Krebspatienten verkauft. Noch am Tag der Kontrolle beschlagnahmten Staatsanwaltschaft und Lindauer Kriminalpolizei Hunderte Ampullen Viren. Nun musste sich der Arzt vor dem Lindauer Amtsgericht verantworten. Bei der Verhandlung kam auch der Verdacht zur Sprache, der Arzt könnte für einen Pockenausbruch im Jahr 2013 mitverantwortlich sein.
„Eine Frau zeigte damals die typischen Symptome für eine Pockenerkrankung“, sagte Matthias Schweizer, Experte für onkolytische Viren am Paul-Ehrlich-Institut in Langen, am Mittwoch bei Gericht aus. Es habe sich herausgestellt, dass die Frau am Vacciniavirus, einer Mischung aus Menschen- und Kuhpocken, erkrankt war. „Erst vor einem halben Jahr habe ich herausgefunden, dass das Virus vom Angeklagten kam“, sagte Schweizer – es war der Frau im Rahmen einer Krebstherapie verabreicht worden.
360 Ampullen sichergestellt
Das Vacciniavirus sowie jede Menge andere Viren hatte Schweizer bereits vor drei Jahren im Labor des Lindauer Arztes gefunden. Damals kontrollierte die Regierung von Oberbayern den Angeklagten, der vorgegeben hatte, die Viren lediglich zu Forschungszwecken zu benutzen.
Doch schon während der Inspektion deutete alles darauf hin, dass der Angeklagte seine Viren verkaufte. „Auf einem Plakat im Labor wurde ein Arzt beworben, der Behandlungen mit seinen Viren anbot“, sagte Schweizer aus. An einer Sterilbank seien ganze Listen von Patientennamen gehangen. „Und wir fanden einen Ordner, in dem beschrieben war, wie man Viren verschickt.“
Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft stellten noch am Tag der Kontrolle 360 Ampullen mit unterschiedlichen Viren sicher. Später fand man 85 Rechnungen für Viren – insgesamt 600 000 Euro soll der Angeklagte damit verdient haben.
Der Angeklagte hatte sich von den Ärzten, mit denen er zusammenarbeitete, offenbar Zellproben aus den Tumoren ihrer Patienten – meist Krebspatienten im Endstadium – geben lassen. An ihnen testete er, welches Virus die Tumorzellen am schnellsten zerstörte. Dieses Virus züchtete er dann – und verkaufte es an den behandelnden Arzt. „Wenn es schnell gehen musste, haben wir auch mal Viren auf Verdacht verschickt“, sagte eine ehemalige Angestellte des Angeklagten aus.
In der Krebsforschung wird viel mit Viren gearbeitet. Sie können unter bestimmten Umständen die erkrankten Tumorzellen angreifen und zerstören. Allerdings versprechen laut Schweizer vor allem gentechnisch veränderte Viren Chancen auf Heilung. Tierviren, wie sie der Angeklagte benutzt hatte, seien nur selten erfolgreich. Außerdem bestehe bei Patienten mit schwachem Immunsystem die Gefahr, dass das Virus alle Zellen angreife – wie im Fall der am Vacciniavirus Erkrankten.
Der Gutachter wirkt geschockt
Bei der Gerichtsverhandlung am Mittwoch ging es schließlich um die Frage, ob es sich bei den Viren des Angeklagten um bedenkliche Arzneimittel gehandelt hatte. Schweizer, der als Zeuge und als Gutachter aussagte, war davon überzeugt. Er wirkte am Mittwoch noch immer geschockt über die Zustände, die er vor drei Jahren vorgefunden hatte. „Es fehlte jegliche Kontrolle“, erzählte er. Auch auf Hygienestandards habe man offenbar keinen großen Wert gelegt: Es habe weder Schleusen noch Reinräume gegeben. „Es gab nur zwei Sterilbänke mit einer Vielzahl an Viren“, sagte er. Für ihn sei nicht nachvollziehbar gewesen, welches Virus sich auf welcher Zelle befunden hatte.
Bakterielle Infektionen möglich
Schweizer ist sicher: Die Viren hätten sich unter diesen Umständen nur zu leicht miteinander vermischen können. „Er wusste am Ende nicht genau, welches Virus er verschickte und in welcher Konzentration es vorlag“, sagte der Gutachter. Und weil der Angeklagte die Viren vor dem Versand nicht mehr getestet hatte, sei außerdem nicht ausgeschlossen gewesen, dass sie bakteriell infiziert gewesen seien. Der Angeklagte beteuerte indes, er habe zu jedem Zeitpunkt gewusst, was sich in welcher Ampulle befindet. Vier ehemalige Angestellte des Arztes, die als Zeuginnen geladen waren, bestätigten die Beschreibungen Schweizers. Eine von ihnen hatte gekündigt, weil sie die Zustände im Labor ethisch nicht mehr vertreten konnte. „Als die Viren kurz vor dem Ablaufen waren, sollten wir einfach das Haltbarkeitsdatum austauschen“, schilderte eine andere.
Der Angeklagte räumte den Verkauf der Viren ein. Allerdings war er bis zuletzt davon überzeugt, dass er damit Menschenleben gerettet hatte. „Es kam kein Patient zu Schaden, vielen wurde geholfen“, sagte sein Anwalt Benjamin Merzel im Schlussplädoyer. Beweisen konnte er das allerdings nicht. „Wir haben versucht, Patienten als Zeugen zu laden, aber sie waren alle verstorben“, sagte Richterin Ursula Brandt schon während der Verhandlung. Sie verurteilte den Arzt schließlich zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Außerdem musste er versichern, dass er nie wieder Viren in Umlauf bringt. „Ihr Gedanke war, medizinisch helfen zu wollen“, sagte sie in Richtung des Angeklagten. „Aber Sie haben sich bei Ihren Methoden nicht an pharmazeutische Standards gehalten.“