Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Das große Verlangen nach Cannabis light
In der Schweiz sind Hanf-Zigaretten legal auf den Markt gekommen – Der Hersteller kommt mit dem Liefern fast nicht mehr nach
ST. MARGRETHEN - „Die Hanf-Zigaretten haben wir schon vor zwei Wochen bestellt“, sagt die nette, künstlich blondierte Dame vom Grenzkiosk in St. Margrethen, dem letzten Schweizer Bodensee-Zipfel bevor Österreich anfängt. Angekommen sei aber noch nichts. „Die Nachfrage ist wohl zu groß. Der Hersteller kommt offenbar mit dem Produzieren nicht nach“, fügt sie an.
Auch der Besuch weiterer umliegender Kioske, Tankstellen und Supermärkte ergibt dasselbe Ergebnis: Geordert, aber noch nicht da – oder schon ausverkauft. Fast könnte man meinen, das neueste eidgenössische Rauch-Produkt sei ein Phantom. Dabei hat es bereits für grenzüberschreitenden Widerhall gesorgt. Österreichische und deutsche Zöllner wurden zu besonderer Wachsamkeit aufgerufen. Drogengefahr heißt es. Wem zugetraut wird, sich in der Schweiz mit Hanf-Zigaretten eingedeckt zu haben, soll rausgezogen und kontrolliert werden. Einmal mehr schlechte Zeiten für jene, die wie Hippies wirken. Aber grundsätzlich gilt eben, dass Deutsche oder Österreicher noch lange nicht qualmen dürfen, was Eidgenossen erlaubt ist.
In Deutschland illegal
Nördlich des Bodensees sowie im kleinen rot-weiß-roten Alpen- und Donaureich sind die Hanf-Zigaretten gesetzlich als illegal eingestuft. Dabei schwingt folgender traditioneller Gedankengang mit: der auch als Cannabis bekannte Hanf führt zu Rauschgift, das umgangssprachlich als Marihuana oder Haschisch bekannt ist. Anders ausgedrückt: HanfRauchen könnte der Anfang des Verderbens sein. Wollen aber die sonst oft als bieder eingestuften Eidgenossen ausgerechnet diesen Weg beschreiten? Zudröhnen kann man sich schließlich auch mit einem ortsüblichen Schützengarten-Bier oder Pflümli-Schnaps.
Es ist aber so, dass die Schweiz seit langen Jahren einen liberaleren Umgang mit Drogen kennt als etwa Deutschland. Anfang der 1990er-Jahre bescherte dies Zürich die größte offene Rauschgiftszene Mitteleuropas inklusive diverser Drogentoter. Speziell deutsche Junkies wanderten seinerzeit gerne in die eidgenössische Metropole ab. Heute kommt ein gewisses Laisser-faire der Hanf-Zigarette zu Gute. Deren Geschichte beginnt im vergangenen Sommer. Da tauchte der Besitzer eines Ladens für Raucherware auf einer Polizeiwache auf. Er führte den Beamten ein neue Hanfsorte vor. Sie enthalte wesentlich weniger Rauschstoffe als sonst üblich, lautete seine Behauptung. Dies wurde behördlicherseits überprüft – und schließlich als zutreffend attestiert. Der Hanf durfte damit in den Handel. Zwischen legal und illegal
existiert aber eine exakte Grenze. Sie hat mit der unaussprechlichen Substanz Tetrahydrocannabidiol zu tun, abgekürzt als THC bekannt. Dieser Stoff sorgt für die geistige Reise ins vernebelte Nirwana. Für den richtigen Kick liegt der THC-Wert in modernen Züchtungen für den Drogen-Missbrauch bei etwa 20 Prozent. Damit darf selbst in der Schweiz keiner dealen. Dieser Stoff fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Enthält der Hanf aber weniger als ein Prozent THC, ist dies seit Jahresfrist nicht mehr der Fall.
„Von dem in der Schweiz legalen Cannabis müsste man schon sehr viel konsumieren, um eine Rauschwirkung zu erzielen“, lässt sich Professor
Ulrich Preuß von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin in den Medien zitieren. Am St. Margrether Grenzkiosk lästert die nette Kunstblondine: „Vielleicht hilft ja das Rauchen der ganzen Schachtel auf einmal.“Dies wären 20 Zigaretten. Mangels einer Lieferung hat sie aber noch keinen Selbstversuch machen können.
Es ist ein bemerkenswertes Gespräch mit der Dame. Vis-á-vis von ihrer kleinen Bude kontrollieren Schweizer Grenzer am Zollgebäude zu Vorarlberg hin eben ein Auto mit rumänischem Kennzeichen. Das folgende bulgarische Fahrzeug wird ebenso inspiziert. Indes philosophiert sie über Cannabis-Produkte. „Ich hätte da auch noch getrocknete Hanfblätter mit Zigarettenpapier“, bietet sie schließlich an. Über den konventionellen Rauchprodukten wie Marlboro liegen Cannabis-Päckchen der Marke Sonnenfeld. Kostenpunkt: umgerechnet etwa 18 Euro. So viel wie eine der nicht vorhandenen Hanf-Kippen-Schachteln. Der THCGehalt des zerkrümelten Blätterwerks liegt im erlaubten Bereich. „Natürlich, sonst wären die Päckchen nicht im Regal“, meint die Frau.
„Heimat“mit Hanf
Die getrockneten Blätter sind seit rund fünf Monaten auf dem Markt. Die Leute wollen aber offenbar vor allem die erst seit Juli zum Verkauf stehenden „Hanf-Zigis“, wie sie liebevoll im Dialekt genannt werden. Ihr Produktentwickler war davon völlig überrascht. Die Hanf-Ware geht auf Roger Koch zurück. Er betreibt in Steinach, einem Bodenseeort des Kantons St. Gallen, die Firma Koch&Gesell Tabakfabrikanten AG. Das Unternehmen ist klein, arbeitet erst seit 2016 und verströmt noch den Charme eines improvisierten Handelns. Gegenwärtig wird in zwei Schichten gearbeitet. Koch sagt, inzwischen würden rund 10 000 Schachteln pro Woche produziert. „Die Nachfrage ist aber drei- bis fünfmal so hoch. Wir wurden völlig überrollt“, ergänzt der Mann.
Ähnliches wird aus Zürich berichtet, wo es mittlerweile zahlreiche Läden gibt, die etwa „Dr. Green“oder „Green Passion“heißen und mit BioQualität werben. Der Betreiber „Dr. Green“vertreibt angeblich monatlich Cannabis im Wert von bis zu 90 000 Euro.
Erstaunlich ist der Name, den Roger Koch für die Hanfkippen aussuchte. Er will so gar nicht ins Cannabis-Milieu passen: „Heimat“. Die Bezeichnung ist aber gut überlegt. „Ich habe sie gewählt“, erzählt Koch, „weil Tabak und Hanf ausschließlich aus der Schweiz kommen.“Ursprünglich dachte er an „Highmat“, also einer Mischung von Heimat und High-sein, also berauscht sein. „Zugegeben in einem witzigen Moment“, lautet seine Erklärung. Koch nahm Abstand davon: „Dies hätte die Marke gefährdet.“Für Gegner der Zigarette wäre „high“hingegen eine Steilvorlage gewesen.
Der Rauschstoff THC ist eben doch noch enthalten – wenn auch unter dem vorgeschriebenen Grenzwert von einem Prozent. Dies reicht, um bei den direkten Bodenseenachbarn üblen Ärger zu bekommen, sollte man mit der „Heimat“erwischt werden. Deutsche wie österreichische Gesetze versprechen Geldstrafen. Sogar Haft ist im Bereich des Möglichen, sofern sich noch eine Spur THC findet. Drogenberater fürchten dann auch, dass die HanfZigarette der Einstieg in eine Rauschgiftkarriere sein könnte. Sie reden von einer „Verharmlosung“des Cannabis-Konsums. Die oberste eidgenössische Drogenbekämpferin, Nationalrätin Andrea Geissbühler von der rechten Schweizer Volkspar- ANZEIGE tei, hat bereits den Untergang des Vaterlandes vor Augen. Sie glaubt, die Hanf-Zigarette sei ein Weg, um den Joint zu legalisieren.
Nun wird in der Schweiz durchaus diskutiert, wie weit man mit der Cannabis-Legalisierung gehen könnte. 2004 war eine politische Initiative zur weitgehenden Freigabe gescheitert. Der Anbau von Hanf ist jedoch ungeachtet des jeweiligen THC-Gehalts generell nicht verboten. Selbst wenn der Rausch-Wert über einem Prozent liegt, ist die Kultivierung möglich, sollte das Bundesamt für Gesundheit seinen Segen geben. Dies hat damit zu tun, dass die Entwicklung des medizinischen Hanfgebrauchs weiter entwickelt ist als beispielsweise in Deutschland.
„Rauchen ist tödlich“
Sinnigerweise wird auch bei den Befürwortern der Hanf-Zigarette eine angeblich positive körperliche Wirkung betont. Sie gehe auf auf den Stoff Cannabidiol, kurz CBD, zurück. Er gilt als beruhigend. Kritiker verweisen aber darauf, dass so oder so Gesundheitsgefahren lauern würden. Es bliebe ja noch der Tabak für die körperliche Schädigung übrig. Wie Fotos von Schachteln der Marke „Heimat“zeigen, wird davor aber vorschriftsmäßig gewarnt: „Rauchen ist tödlich“steht darauf. Dies war im Zusammenhang mit Zigaretten immerhin erwartbar.
Etwas überraschend kommt ganz aktuell ein anderes Problem. Es hängt mit dem sommerlichen Wetter zusammen. Auch die eidgenössischen Freibäder sind voll. Einige davon haben aber inzwischen das Rauchen von Hanf-Zigaretten verboten. Der Hanf-Qualm riecht wie bei richtigen Joints. Nichtrauchende Gäste würden sich durch den süßlichen Geruch belästigt fühlen, heißt es von Bademeistern.
Die Dame hinterm Tresen des St. Margrether Grenzkiosks findet wiederum das Verbot in den „Badis“kurios. Ihrer Erfahrung nach sei dort doch schon immer gekifft worden.