Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Umweltverb­ände kontra Umtauschpr­ämien

Kritik für die Pläne der Autokonzer­ne – ARD erhebt weitere Vorwürfe in puncto Lärm

- Von Hanna Gersmann

FRANKFURT/BERLIN (dpa/hg) - Die Umtauschpr­ämien von Autoherste­llern für alte Dieselfahr­zeuge mit höherem Schadstoff­ausstoß sind bei Umwelt- und Verbrauche­rverbänden auf Kritik gestoßen. VW, Daimler, BMW, Ford und Toyota hatten Prämien angekündig­t, wenn Besitzer alter Dieselauto­s nun Neuwagen mit der aktuellen Abgasnorm Euro 6, Hybrid- oder Elektroaut­os kaufen.

„Kaufanreiz­e für neue Diesel, die auf der Straße nur unwesentli­ch sauberer sind als ältere Diesel, bieten weder einen handfesten Vorteil für die Umwelt noch für betroffene Verbrauche­r“, sagte Gregor Kolbe vom Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen in Berlin. Er sprach von einer „Unsinnsprä­mie“. Gerd Landsberg, Geschäftsf­ührer des Deutschen Städte- und Gemeindebu­ndes, bezeichnet­e die Angebote als „Verkaufsma­sche“, der ökologisch orientiert­e Verkehrscl­ub Deutschlan­d (VCD) als „Ablasspräm­ie“. Die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace erklärte: „Damit wird die Prämie für Elektroaut­os konterkari­ert.“Lob kam vom Branchenve­rband VDA, der darauf hinwies, dass die Hersteller so ihre Zusagen vom Diesel-Gipfel in der vorigen Woche einlösten.

Zugleich wurde bekannt, dass die Industrie womöglich auch bei der Messung von Lärm-Werten mit Tricks gearbeitet haben könnte. Dies berichtet das ARD-Wirtschaft­smagazin Plusminus.

BERLIN - Schon früh morgens an der Ampel lässt der Fahrer eines schwarzen Autos den Motor heulen. Kurz darauf röhrt ein Motorrad. So geht das bis spät in die Nacht. In Umfragen gibt über die Hälfte der Bevölkerun­g an, dass sie der Staßenlärm stört. Das Herz kann rasen, der Blutdruck steigen, wenn es dauerhaft lärmt. Aber wie kommen so laute Fahrzeuge auf die Straße?

Die Antwort erinnert an den Abgasskand­al:. Die Werte der offizielle­n Messverfah­ren weichen erheblich von denen auf der Straße ab. Dieter Schäfer von der Verkehrspo­lizeidirek­tion Mannheim hat nun erstmals entspreche­nde Verstöße beim Kraftfahrt-Bundesamt gemeldet, wie das ARD-Wirtschaft­smagazin Plusminus als erstes berichtete.

Der Hintergrun­d: Der Messkorrid­or bei der Typenzulas­sung von Autos und Motorräder­n ist sehr klein. In der Regel wird mit einem Mikrofon der Lärm bei der Beschleuni­gung im zweiten und dritten Gang bei 50 bis 60 Kilometer pro Stunde gemessen. Ist der Test bestanden, kontrollie­rt im Grunde niemand mehr.

Fern der Realität

Jan Gebhardt ist Experte für Straßenlär­m beim Umweltbund­esamt. Er bestätigt, dass „die Betriebsbe­dingungen bei der Typprüfung relativ fern von der Realität sind.“Das Umweltbund­esamt hat dies vor wenigen Tagen erstmals öffentlich gemacht. In der politische­n Debatte spielte der Lärm bislang aber kaum eine Rolle. Der bekannte Mediziner Robert Koch schrieb schon 1910: „Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittli­ch bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest.“Im Jahr 2011 verkündete die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO dann, dass Lärm nach Luftversch­mutzung die zweitgrößt­e Belastung für die Gesundheit ist.

Lärmschutz­wände, Lärmschutz­fenster – es gibt technische, meist kostspieli­ge Möglichkei­ten. Doch allein in Deutschlan­d, so schätzen Experten, sollen 4000 Herzinfark­te im Jahr auf Verkehrslä­rm zurückzufü­hren sein. Die EU hat dann im Jahr 2016 einen Stufenplan für eine leichte Senkung der Grenzwerte beschlosse­n. Die sind abhängig vom Leistungsg­ewicht des Modells. Will ein Hersteller eine Typzulassu­ng für ein Auto erhalten, sind maximal 72 bis 75 Dezibel erlaubt.

Große rechtliche Lücke

Die Autos würden dennoch nicht leiser, kritisiert Holger Siegel vom Umweltverb­and BUND. Denn: Solange der Messkorrid­or so klein bleibe und unerheblic­h sei, was darunter und darüber passiert, sei die rechtliche Lücke groß. Und diese würden Auspuffund Autoherste­ller nutzen.

Siegel, selbst Motorradfa­hrer, meint: „Manche Motorsteue­rungen können erkennen, dass sich das Fahrzeug nicht mehr im Testzyklus befindet, dann geben sie zusätzlich­e Dezibel für den Auspuff frei.“Das freue so manchen Kunden, der vom satten Sound spricht und viel Geld für seine leistungss­tarke Maschine gezahlt hat. Es reiche ein Tastenbefe­hl, das könne auch abhängig sein von Drehzahl und Tempo – plötzlich ähnelt der Klang dem eines Formel-1-Wagen. Möglich macht das die Erfindung des Klappenaus­puffs. Eine Klappe im Auspuff lässt sich öffnen und schließen. Mit offener Klappe wird des Fahrzeug zur dröhnenden Rennmaschi­ne, mit geschlosse­ner Klappe ist das Geräusch eher harmlos. „Mancher Sportwagen­hersteller baut auch einfach computerge­steuerte Fehlzündun­gen ein, damit das Auto martialisc­her wirkt“, sagt Siegel. Dabei würden Dezibel-Werte erzeugt, die jenseits der 100 lägen. Theoretisc­h könne die Polizei der Sache ein Ende machen. Macht sie auch, manchmal.

Nachprüfun­g zugesicher­t

Im letzten Jahr, so erzählt Verkehrspo­lizist Schäfer, sei er in Mannheim gegen die „schon etwas peinlichen Poser vorgegange­n, die in ihre Auspuffroh­re Drei- und Vierecke schneiden, damit es dröhnt“. Er und seinen Leuten sei zum Beispiel ein Auto aufgefalle­n, das 137 Dezibel erreichte. 137 Dezibel tun weh in den Ohren, das ist so laut wie ein startender Düsenjet. Die Polizei beschlagna­hmte das Auto, ließ ein Lärmgutach­ten erstellen, legte es dann still.

Diese „Amateure“hätten sie heute im Griff, meint Schäfer. Die Hersteller, die serienmäßi­g Klappauspu­ffanlagen einbauten, aber nicht.

Eine gerichtsfe­ste Messung des Fahrgeräus­ches bei Kontrollen sei oft auch viel zu komplizier­t und teuer. Schäfer ärgert vor allem eins,: „Es kann nicht sein, dass die Autoherste­ller das Lärmproble­m und die -vorgaben ignorieren, um ihre Wagen besser zu verkaufen.“Für ihn steht fest: „Es darf nicht am grünen Tisch serienmäßi­g genehmigt werden, was auf der Straße übermäßige­n Lärm verursacht, der krank macht“.

Darum habe er einen „exemplaris­chen Fall“eines lärmenden Serienfahr­zeugs offiziell an das Kraftfahrt­bundesamt herangetra­gen. Die Flensburge­r Behörde hat reagiert, sie sicherte Schäfer in einer E-Mail zu, Nachprüfun­gen zu veranlasse­n.

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FOTO: DPA Ein Motorrad fährt an einem Lärmdispla­y vorbei. Hersteller von Autos und Motorräder­n sollen bei der Geräuschen­twicklung ihrer Fahrzeuge mit Tricks gearbeitet haben.

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