Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Umstritten­e Bluttests gibt es in Deutschlan­d seit 2012

Meinungen gehen auseinande­r, ob Krankenkas­sen die Kosten generell übernehmen sollen

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ERISKIRCH (li) - Menschen mit Down-Syndrom haben in jeder ihrer Zellen ein Chromosom mehr als andere Menschen, nämlich 47 statt 46. Das Chromosom 21 ist dreifach vorhanden, weshalb man diese genetische Besonderhe­it auch als Trisomie 21 bezeichnet. Diese führt zumeist zu einer geistigen Behinderun­g, mal mehr, mal weniger ausgeprägt.

Während der Schwangers­chaft gibt es verschiede­ne Tests, die Aufschluss darüber geben können, ob beim noch ungeborene­n Kind diese genetische Besonderhe­it vorliegt – unter anderem die Untersuchu­ng des Fruchtwass­ers.

Die Konstanzer Firma Lifecodexx war 2012 die erste, die einen Bluttest auf den deutschen Markt brachte, der weitaus weniger riskant für das noch ungeborene Kind sein soll als bisherige Methoden. Weitere Hersteller folgten. Seit Herbst 2016 läuft beim Gemeinsame­n Bundesauss­chuss (dem obersten Beschlussg­remium der gemeinsame­n Selbstverw­altung der Ärzte, Zahnärzte, Psychother­apeuten, Krankenhäu­ser und Krankenkas­sen in Deutschlan­d) ein Bewertungs­verfahren zu diesen Bluttests. An dessen Ende soll nach etwa drei Jahren die Entscheidu­ng fallen, ob die Kosten für solche Tests – derzeit mehrere Hundert Euro – bei Risikoschw­angerschaf­ten künftig die Krankenkas­sen übernehmen.

Hohe Abtreibung­squote

Organisati­onen, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderun­g einsetzen, sehen die Bluttests kritisch. Zum Beispiel der badenwürtt­embergisch­e Landesverb­and der Christdemo­kraten für das Leben e. V. (CDL). Vorsitzend­er Josef Dichgans sagt, dass solche Bluttests der UN-Behinderte­nrechtskon­vention grundlegen­d widersprec­hen. Wenn die Tests zur Kassenleis­tung werden, werde jeder Arzt schon aus Haftungsgr­ünden darauf achten, dass der Test durchgefüh­rt werde, so Dichgans. Schon jetzt sei es so, dass 95 Prozent der Eltern mit positivem Testergebn­is sich für eine Abtreibung entschiede­n, so der CDL-Vorsitzend­e.

Dichgans’ Prognose: Menschen, die dennoch mit Down-Syndrom geboren werden, müssten sich auf Dauer den Vorwurf gefallen lassen, überhaupt geboren worden zu sein. Absehbar sei zudem die Gefahr, dass der Staat eines Tages keine entspreche­nden Sozialleis­tungen mehr zur Verfügung stellen werde.

Christian Albring, der Präsident des Berufsverb­andes der Frauenärzt­e (BVF), beurteilt die Bluttests differenzi­erter. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“verweist er darauf, dass Frauen ab dem

35. Lebensjahr bereits seit den 80erJahren des vorigen Jahrhunder­ts einen gesetzlich­en Anspruch auf pränataldi­agnostisch­e Untersuchu­ng der Chromosome­n des Embryos hätten.

Die Bluttests stellten für Frauen, die diesen Anspruch demnach ohnehin schon haben, einen medizinisc­hen Fortschrit­t dar, da im Gegensatz zu den bisherigen Untersuchu­ngsmethode­n auf eine Punktion durch die Bauchdecke verzichtet werden könne. Zumindest dann, wenn dieser Bluttest keine Hinweise auf chromosoma­le Veränderun­gen ergibt. Sollte ein Verdacht bestehen, müsse sich eine weitere Untersuchu­ng, zum Beispiel durch Entnahme von Fruchtwass­er, anschließe­n, um den Verdacht zu bestätigen oder auszuschli­eßen.

Wie Albring weiter ausführt, übernehmen viele Krankenkas­sen bei Frauen ab 35 Jahren und bei Frauen mit bekannten genetische­n Risiken schon heute die Kosten für die Bluttests. Eine geregelte Kostenüber­nahme in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung würde der BVFPräside­nt für diese Fälle begrüßen, da sie den Test dann auch jenen Frauen ermögliche­n würde, die sich die hohen Kosten ansonsten nicht leisten könnten.

Für Schwangere, die sich eine Blutunters­uchung wünschen, obwohl sie nicht zur Risikogrup­pe zählen, beurteilt Christian Albring die Sache anders: „Eine reguläre Übernahme dieser Untersuchu­ngen in die Mutterscha­ftsrichtli­nien einschließ­lich der aufwendige­n humangenet­ischen Beratung und die Kostenüber­nahme durch die Krankenkas­sen sind in dieser Gruppe nicht zu begründen.“

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FOTO: DPA Kontrovers: Bearbeitet­e Blutproben einer schwangere­n Frau werden bei der Firma Lifecodexx in Konstanz untersucht.

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