Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Vorsicht Kamera
Der Berliner Testlauf zur Gesichtserkennung im Bahnhof ist sehr umstritten
BERLIN - Schutz oder Überwachung? Der Bundesinnenminister hat eine klare Meinung. „Videoüberwachung ist sehr wichtig“, sagt Thomas de Maizière. Er ist am Donnerstag auf dem Berliner Bahnhof Südkreuz zu Gast, inspiziert ein Modellprojekt der Bundespolizei zur Gesichtserkennung. Hier soll Software darauf hin geprüft werden, ob sie Testpersonen anhand der Bilder von drei Überwachungskameras zweifelsfrei identifizieren kann. Wenn sie funktioniere, sei es „dringend geboten, eine solche Technik auch einzusetzen“, ist CDU-Mann de Maizière überzeugt – und will so Erfolge bei der Fahndung nach Terroristen und Straftätern erzielen. Das wäre „ein unglaublicher Sicherheitsgewinn“. Doch der Versuch mit 300 Freiwilligen, die als Entschädigung einen Amazon-Gutschein erhalten sollen, ist hoch umstritten.
Ein Grund sind die Geräte, die von den Testpersonen zu tragen sind: Sensoren, die zur zusätzlichen Identifikation dienen und eine entsprechende Nummer bis zu 20 Meter weit senden. Datenschützern zufolge geben sie weitere Informationen weiter, die auf das Verhalten der Probanden auch außerhalb des Testbereichs im Bahnhof Südkreuz schließen lassen. Dafür gebe es jedoch keine Zustimmung der Teilnehmer. Deshalb fordert die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff eine Unterbrechung des Versuchs, bis entsprechende Einverständniserklärungen vorliegen.
Beim Vor-Ort-Termin bürstet de Maizière die Kritik ab. Diese beruhe auf fehlerhaften Informationen. Die Funktionen zur Versendung zusätzlicher Daten seien ausgeschaltet. Tatsächlich reicht offenbar schon die Identifikationsnummer einer Testperson, um sie auch anderswo ausfindig machen zu können. De Maizière zeigt sich entschlossen, den Versuch fortzusetzen – von SPD, Grünen und Linkspartei kommt dagegen der Ruf nach einem Stopp.
SPD-Fraktionsvize Eva Högl erklärte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, das Projekt dürfe nur weiter durchgeführt werden, wenn absolut klar sei, welche Daten erhoben, wie diese ausgewertet würden und dass die Testpersonen darüber vollständig informiert seien. „Ich habe Zweifel, ob das bisherige Vorgehen den datenschutzrechtlichen Vorgaben genügt“, so Högl.
Auch die Grünen fordern einen sofortigen Stopp. „Das Pilotprojekt ist komplett gescheitert und muss umgehend beendet werden“, erklärte Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. „Wenn selbst Menschen, die sich grundsätzlich als Testpersonen zur Verfügung gestellt haben, erschrocken sind angesichts der weitreichenden Erfassung ihrer Bewegungsprofile, ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass die automatische Gesichtserkennung auf wenig Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern stoßen wird.“Showeffekte im Wahlkampf könnten solide Sicherheitspolitik nicht ersetzen.
Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, spricht sich für eine flächendeckende Nutzung der Technik aus. „Wenn diese Technik sich während des Pilotprojets als zuverlässig erweist, erzeugt sie einen ganz erheblichen Gewinn an Sicherheit, auf den wir keinesfalls verzichten dürfen.“