Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Überall Zündschnüre
Das 3:0 gegen Anderlecht offenbarte vor allem die Probleme beim FC Bayern München
MÜNCHEN - Bitte lächeln! Die Krüge hoch! Am Mittwoch nach dem Vormittagstraining waren die Profis des FC Bayern München zu einem vergnüglichen Termin gebeten. Ab in die Tracht für das alljährliche zünftige Lederhosen-Shooting eines Biersponsors. Perfektes Timing – nach dem 3:0 (1:0)-Heimerfolg gegen RSC Anderlecht zum Start in die diesjährige Champions-League-Gruppenphase.
Könnte man meinen.
Für Geburtstagskind Thomas Müller sang die Mannschaft zwar am Mittwoch ein Ständchen, ansonsten hängt der Haussegen beim Rekordmeister aber gehörig schief. Das klare Ergebnis gegen den belgischen Meister trügt. Tatsächlich deckte es zahlreiche der aktuellen Probleme auf. Arjen Robben etwa vermisste Leidenschaft. „Wir haben ohne Tempo und Rhythmus gespielt, müssen uns hinterfragen, kritisch sein. Ich will Spaß haben auf dem Platz, das hatte ich nicht“, sagte er. Auf die Rote Karte nach Notbremse für Anderlechts Sven Kums (11.), die Robert Lewandowski zum 1:0 per Elfmeter veredelte, angesprochen, schimpfte der Niederländer: „Bei allem Respekt: Nach der Roten Karte musst du die aus der Arena schießen. Gegen stärkere Gegner bekommen wir so Probleme.“Thomas Müller meinte: „Wir dürfen keine Ausreden suchen, als FC Bayern müssen wir abliefern.“Dicke Luft in München. Man hatte am Dienstagabend den Eindruck, als lägen überall Zündschnüre herum. Es zischt und brodelt an allen Ecken und Enden – höchste Explosionsgefahr. Dabei werden die Krachledernen, die Lederhosen also, erst am Samstag benötigt, wenn das Oktoberfest startet.
Die Zündschnüre der Bayern:
Der (allzu) pragmatische Carlo Ancelotti:
Die Mannschaft spielt mindestens seit Saisonbeginn nicht so, wie sich Fans und Bosse das vorstellen. Zu statisch, zu ideenlos. Ohne Spielwitz, ohne Eleganz und Esprit. Von den Rängen kamen am Dienstag vereinzelt Pfiffe, der Italiener sah das 3:0, wie immer, pragmatisch: „Kein perfektes Spiel, aber generell bin ich zufrieden.“Hm. Vor allem seit der Ära Pep Guardiola mit seinem die Gegner erdrückenden Ballbesitz-Dominanzfußball ist man in München anderes gewöhnt. Wird der 58-Jährige bald zur „lame duck“in München, zum Trainer auf Abruf ? Hoffenheims Julian Nagelsmann hat ja bereits eine Liebeserklärung an Bayern abgegeben.
Der wütende Ribéry:
Nach seiner Auswechslung (beim Stand von 2:0 nach 77 Minuten! In einem Vorrundenspiel!) schleuderte Franck Ribéry sein Trikot wutentbrannt in Richtung Ersatzbank. Was sogar Ancelotti zu einer seiner seltenen Gefühlsregungen veranlasste: „Ich verstehe seine Reaktion nicht.“Sportdirektor Hasan Salihamidzic meinte: „So etwas darf nicht passieren. Wir sind der FC Bayern. Das ist nicht okay, darüber werden wir sprechen.“Am Mittwoch erklärte Ribéry, sein Trikotwurf habe „nichts mit Respektlosigkeit“zu tun gehabt. Aha.
Der schwache Sportdirektor:
Salihamidzic ist bei den Spielern beliebt. Doch haut „Brazzo“wirklich intern so dazwischen, wie die Bosse ständig betonen? Kaum zu glauben. „Man spürt bei Brazzo Dankbarkeit gegenüber Uli und Kalle, aber er muss sich in den nächsten Wochen positionieren. Jeder findet seinen Stil, er ist neu, man sollte ihm Zeit geben“, findet Ex-Bayern-Profi Michael Ballack.
Der grübelnde Lewandowski:
Noch haben sich die Bosse zu keiner Geldstrafe gegen den Stürmer, der im „Spiegel“die Transferpolitik des Clubs kritisiert hatte, durchgerungen. Wohl auch, weil die Verantwortlichen wissen, wie wichtig er ist – dank seiner Torquote unersetzbar.
Der Konflikt Robben/Lewandowski:
Spielt der eine dem anderen den Ball nicht ab, erntet er grimmige Blicke und Kopfschütteln. Gegen Anderlecht winkte Robben nach Alleingängen von Lewandowski mehrmals ab. Die Frage ist: Wie lange reißen sich die beiden, ausgeprägt mit einem stattlichen Ego, noch zusammen?
Die uneinigen Bosse:
Präsident Uli Hoeneß hatte sich zuletzt eher milde gezeigt, während Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge warnte „Stress mit mir“zu bekommen. Prinzip „Good Cop“, „Bad Cop“, diesmal in vertauschten PolizistenRollen? Oder steckt doch mehr dahinter? Seit Hoeneß nach seiner Haftstrafe wieder die Macht im Verein an sich gerissen hat, sprechen die Bosse kaum noch mit einer Zunge.
Das Dauerproblem Müller:
Dieses Problem wird die Bayern wohl über die gesamte Saison beschäftigen. Findet Carlo Ancelotti in wichtigen Spielen einen Platz, eine Position in der Startelf für Müller, den Liebling der Fans, den letzten Bayern im Kader?