Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Europa hofft auf schnelle Regierungsbildung
Juncker gratuliert Kanzlerin – Macron will am heutigen Dienstag Pläne für EU-Reform vorstellen
BRÜSSEL - Nach der Wahl in Deutschland hofft EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf die rasche Bildung einer handlungsfähigen Bundesregierung, um Europa zu stärken. „Angesichts großer globaler Herausforderungen braucht Europa jetzt mehr denn je eine stabile Bundesregierung, die tatkräftig an der Gestaltung unseres Kontinents mitwirkt“, schrieb Juncker in einem am Montag veröffentlichten Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Auch die 27 EU-Mitgliedsstaaten haben Wünsche an die neue Bundesregierung. Einig sind sie sich aber nur in einem: Es möge bitte rasch gehen mit der Regierungsbildung in Berlin, damit die EU endlich an einigen wichtigen Baustellen weiterarbeiten kann.
Macron stellt Pläne vor
Das war es dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird am heutigen Dienstag eine Rede darüber halten, wie er sich die Reform der Europäischen Union vorstellt. Mehrere seiner Kernforderungen sind für die FDP ein „No-go“, das hat Parteichef Christian Lindner im Wahlkampf deutlich gemacht. Er will weder ein eigenes Budget noch einen Finanzminister für die Eurozone. Ein besserer Schutz heimischer Arbeitnehmer vor ausländischer Billigkonkurrenz – Stichwort: Reform der Entsenderichtlinie – steht ebenfalls der liberalen Überzeugung entgegen, dass möglichst wenig Regulierung der Wirtschaft am besten bekommt.
Die Regierung in Österreich wird vor allem ein Auge darauf haben, wie sich eine neue Regierungsmannschaft in der Flüchtlingsfrage positioniert. Eine Mehrheit der Österreicher wünscht sich eine Obergrenze und möglichst undurchlässige Außengrenzen. Doch mit einer deutlich geschwächten CSU und womöglich grüner Regierungsbeteiligung kann man sich in Wien kaum Hoffnung machen, in der neuen Bundesregierung Mitstreiter für diese Linie zu finden.
Eine starke Union mit dem sozialdemokratischen Europaprofi Martin Schulz als Juniorpartner wäre vermutlich für viele Europäer und die meisten EU-Regierungen das Wunschergebnis dieser Bundestagswahl gewesen. Nun wird Angela Merkel alle Hände voll zu tun haben, nach dem Absturz der CDU die eigenen Reihen zu schließen und eine regierungsfähige Mehrheit zustande zu bringen. Wesentlich weniger Energie als vorher wird sie für Europa und die Weltbühne aufbringen können. Ihr Spielraum, Frankreichs Präsident bei seinen Reformideen zu unterstützen und den deutsch-französischen Motor wieder anzukurbeln, schwindet.
Auf die Grünen hoffen
„Während Macron zur Eile drängt, um das Momentum zu nutzen, das nun auf EU-Ebene besteht, könnte eine langwierige Regierungsbildung in Deutschland seinen Absichten zuwiderlaufen“, glaubt Yann-Sven Rittelmeyer vom Brüsseler Think Tank EPC. „Macron kann aber darauf hoffen, dass die liberale Präsenz in der neuen Koalition von grünen Kräften neutralisiert wird und dass Angela Merkel mehr an ihrem politischen Vermächtnis interessiert sein könnte als an der Einheit ihrer Partei“, spekuliert der Politologe.
Viele in Brüssel hegen noch eine ganz andere Hoffnung. Sie setzen darauf, dass Grüne und Liberale keine Kompromisslinie finden. Dann würde sich vielleicht doch die SPD, um Handlungsfähigkeit in Deutschland und Europa zu gewährleisten, erneut zu einer Großen Koalition bewegen lassen. Entsprechende Gespräche hat Angela Merkel ja bereits angekündigt.