Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Über den Schatten springen
Das Warten hat ein Ende. Fast vier Wochen nach der Bundestagswahl beginnt nun die Reise in politisches Neuland. Auf nach Jamaika? Der Fahrplan immerhin steht. Doch ein Blick auf die Agenda zeigt, dass dies eine schwierige Reise wird. Und gleich zu Beginn der Verhandlungen wird deutlich, dass CDU, CSU, FDP und Grüne wohl keine großen Sprünge machen werden können.
Zwar gibt es angesichts der positiven wirtschaftlichen Entwicklung ein finanzielles Polster für die kommenden Jahre. Doch könnte dies weniger üppig ausfallen als erhofft. Da bleibt weniger Spielraum, um teure Wahlversprechen zu erfüllen, werden die Sondierungen und Verhandlungen über eine gemeinsame Regierungskoalition nicht einfacher. Steuersenkungen, Familienförderung, Abschaffung des Solidaritätszuschlages, Mütterrente, Breitbandausbau, Schulsanierung und Investitionen in die Infrastruktur – da wird es an der einen oder anderen Stelle Abstriche geben müssen, will man nicht das mühsam erreichte Ziel aufgeben, an der schwarzen Null festzuhalten und auch in Zukunft keine neue Schulden aufzunehmen.
Einig sind sich die vier Jamaikaner schon einmal zumindest in einem wichtigen Punkt: Die AfD muss wieder aus dem Bundestag verschwinden. Nicht nur deshalb gilt es, die offene soziale Flanke zu schließen und mehr für diejenigen Bundesbürger zu tun, die sich nicht nur abgehängt fühlen, sondern es auch tatsächlich sind. Ebenfalls beim Thema Zuwanderung und Integration müssen die Sorgen der Menschen ernst genommen werden. Es dürfen sich die Fehler aus der Zeit der Flüchtlingskrise nicht wiederholen. Es genügt nicht, immer zu behaupten: Wir haben verstanden. Es müssen auch Taten folgen. Das erwarten die Menschen in Deutschland von einer künftigen Regierung.
Union, FDP und Grüne müssen jetzt über ihre Schatten springen, parteipolitische Interessen ein Stück zurückstellen und ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden. Die Gefahr, das eigene Wählerklientel zu verprellen, sollte in den kommenden Verhandlungsrunden in den Hintergrund treten.