Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Puigdemont droht Haft
Madrid will Regionalregierung in Barcelona absetzen
MADRID/BARCELONA (dpa) - Dem katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont droht bei Ausrufung der Unabhängigkeit seiner Region von Spanien die sofortige Inhaftierung. Generalstaatsanwalt José Manuel Maza bestätigte am späten Samstagabend Medienberichte, wonach die oberste Anklagebehörde in Madrid einen Strafantrag gegen Puigdemont wegen Rebellion vorbereitet für den Fall, dass der 54-Jährige in den nächsten Tagen die Loslösung Kataloniens von Spanien erklärt. Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte am Samstag die Absetzung der separatistischen Regionalregierung in Barcelona angekündigt und Neuwahlen in Aussicht gestellt. Puigdemont hatte zuvor gewarnt, die Anwendung von Zwangsmaßnahmen könne Katalonien zu einer Unabhängigkeitserklärung bewegen. Es gilt als Formsache, dass der Senat in Madrid die Vorkehrungen am Freitag absegnet.
MADRID - „Diese Woche“, sagt der Sprecher der katalanischen Separatistenregierung am Sonntag, „wird eine Woche der Entscheidungen sein.“Entscheidungen darüber, wie es nach der Ankündigung Madrids, die katalanische Führung in Barcelona wegen Ungehorsam abzusetzen, weitergeht. Man werde diesem spanischen „Staatsstreich“, wie es Sprecher Jordi Turull nennt, nicht tatenlos zusehen.
Die Worte, die in Barcelona in diesen Stunden zu hören sind, klingen nicht danach, als ob sich die Separatisten den Zwangsmaßnahmen der Zentralregierung in Madrid beugen wollten. Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy hatte am Samstag nach einer Krisensitzung seines Kabinetts mitgeteilt, dass nun die Entmachtung der katalanischen Regionalregierung eingeleitet werde, „um die Legalität wiederherzustellen“. Zudem werde Katalonien befristet unter die Kontrolle Madrids gestellt. Innerhalb von sechs Monaten soll in der Region neu gewählt und damit zur Normalität zurückgekehrt werden.
Doch einfach wird dieser Plan der konservativen spanischen Regierung, der noch vom Senat gebilligt werden muss, nicht umzusetzen sein. Das beginnt schon bei der geplanten Absetzung des katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont. Er könnte wegen Rebellion festgenommen werden, wie Spaniens Generalstaatsanwaltschaft bestätigte.
Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Polizisten mit richterlichem Haftbefehl offene Türen vorfinden werden; zudem soll Puigdemont die Zahl seiner Leibwächter erhöht haben. Das schwer kalkulierbare Risiko, auf Widerstand oder Ungehorsam zu stoßen, gilt gleichfalls für den Plan, Schaltstellen der katalanischen Verwaltung mit Regierungsbeamten aus Madrid zu besetzen. Konfrontationen mit der Polizei, wie sie sich schon am 1. Oktober, dem Tag des illegalen Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien abspielten, könnten sich also die nächsten Tage und Wochen durchaus wiederholen. „Verteidigungskomitees“der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung bereiten sich schon länger darauf vor, Gebäude der regionalen Regierung und Administration mit Menschenmauern zu schützen.
Beratungen am Freitag
Auch bei der vom spanischen Verfassungsgericht verbotenen Abstimmung Anfang Oktober waren diese organisierten „Verteidigungskomitees“im Einsatz. Sie wollten verhindern, dass die Polizei Wahlurnen beschlagnahmt. Die Bilder von Polizisten, die sich mit Knüppeln den Weg in manche Wahllokale bahnten, sorgten auch außerhalb Kataloniens für Empörung. Puigdemont, dem von Madrid vorgeworfen wird, derartige Szenen bewusst zu provozieren und auf Eskalation zu setzen, rief auch am Wochenende wieder seine Anhänger zum Widerstand gegen die erwarteten spanischen Zwangsschritte auf: „Wir müssen zusammenhalten, um wieder unsere Institutionen zu verteidigen, wie wir es immer friedlich und zivilisiert gemacht haben.“
Zugleich kündigte er an, dass das katalanische Parlament diese Woche über eine Antwort auf Madrids „Attacke gegen die Demokratie“beraten werde. Voraussichtlich soll diese Sitzung in Barcelona an diesem Freitag stattfinden – also am selben Tag, an dem auch Spaniens Senat in Madrid die Zwangsmaßnahmen gegen Puigdemonts Regierung billigen will.
Schon vor einigen Tagen hatte Puigdemont gedroht, dass die angestrebte einseitige Abspaltung beschleunigt werde, wenn Madrid in Katalonien eingreife. In diesem Falle, so erklärte er damals, werde das katalanische Parlament die bisher noch ausgesetzte Unabhängigkeitserklärung umgehend in Kraft setzen.
Eine Neuwahl, wie sie Spaniens Regierung anstrebt und wie sie offenbar auch viele Katalanen als Ausweg bevorzugen würden, lehnt Puigdemont bisher ab. „Wahlen stehen derzeit nicht zur Debatte“sagte Puigdemonts Sprecher Jordi Turull. Die beiden größten katalanischen Tageszeitungen, „La Vanguardia“und „El Periódico“, warfen dem Separatistenführer am Sonntag vor, Katalonien in eine Sackgasse manövriert und das Risiko einer gewaltsamen Konfrontation in der gespaltenen Gesellschaft in Kauf zu nehmen.
Beide Zeitungen überschrieben ihre Leitartikel am Sonntag mit dem Titel: „Herr Ministerpräsident, stellen Sie Wahlurnen auf!“. Laut einer am Samstag von „El Periódico“veröffentlichten Umfrage sind 69 Prozent der Katalanen für Neuwahlen.