Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Jonas Lüscher liest in Sigmaringe­n

Der gefeierte Debütroman des gebürtigen Schweizers ist hochpoliti­sch.

- Von Elisabeth Weiger

SIGMARINGE­N - Der gebürtige Schweizer Jonas Lüscher hat in der Stadtbibli­othek aus seinem Debütroman gelesen. „Kraft“ist ein Werk, das sowohl in den Feuilleton­s großer Wochenzeit­ungen als auch von führenden Literaturk­ritikern hoch gelobt wurde und sowohl für den Deutschen als auch für den Schweizer Buchpreis nominiert wurde. Joachim Greisle von der Buchhandlu­ng Rabe übernahm die Begrüßung und übergab den kleinen Lesetisch samt Leselampe und obligatori­schem Glas Wasser an den Autor, der nun seinerseit­s Richard Kraft, den Protagonis­ten seines Romans, vorstellte.

Richard Kraft, ein Tübinger Universitä­tsprofesso­r, der privat und finanziell vor den Trümmern seiner Existenz steht, erhält eine Einladung von seinem langjährig­en Freund Istvan, einem Professor an der Stanford-Universitä­t in Kalifornie­n. Dieser Freund, den Kraft während seiner Berliner Studienzei­t in der 1980erJahr­en kennengele­rnt hat und der sich mittlerwei­le in den USA als Kämpfer gegen den Kommunismu­s verkauft, lädt ihn zur Teilnahme an einer wissenscha­ftlichen Preisfrage ins Silicon Valley ein. Kraft soll in einem 18-minütigen Vortrag begründen, weshalb alles, was ist, gut ist und wie wir es dennoch verbessern können. Dem Verfasser der preiswürdi­gsten Antwort winke eine Million Dollar.

Der Ausflug geht schief

Jonas Lüscher begann seine Lesung mit dem vierten Kapitel. Kraft hat sich entschiede­n am Wettbewerb teilzunehm­en und wohnt nun bei seinem Freund, dem Ungarn, der sich in Amerika Ivan nennt. Kraft rudert gerne, das schweigend­e Durchschne­iden des Neckarwass­ers am frühen Morgen fehlt ihm. Er interpreti­ert dieses Fehlen als eine mögliche Ursache seiner denkerisch­en Krise während seines Aufenthalt­es in Kalifornie­n und beschließt deshalb, durch die seichte Bucht nahe der Universitä­t zu rudern. Dem gewieften Manager seiner eigenen Katastroph­en geht jedoch auch dieser Ausflug schief, und er weiß am Ende nicht, ob er schuld ist an all dem Übel oder ob seine Schuld darin besteht, das Übel nicht zu verhindern.

In der zweiten Lesesequen­z führte Lüscher die Zuhörer zurück ins Jahr 1982, das Jahr des Nato-Doppelbesc­hlusses, des Misstrauen­svotums gegen Helmut Schmidt und des Machtantri­tts von Helmut Kohl. Auf den Zuschauerr­ängen über dem Plenarsaal wird Kraft Zeuge der fünfstündi­gen Debatte. Lüscher gelingt es in diesem Kapitel, die Reaktionen Hannelore Kohls und ihrer Söhne auf die Wahl des Familienob­erhauptes zum Bundeskanz­ler sprachlich überaus einfühlsam in Worte zu fassen.

Dem Autoren nicht nur zuzuhören, sondern das Gehörte auch zu verstehen, war für die Zuhörer nicht immer leicht. Lüschers Lesetempo und seine langen Sätze – angereiche­rt mit vielen Anglizisme­n und nachdenken­swerten Adjektiven – verlangten von den Zuhörern einiges an Konzentrat­ion.

Lieber differenzi­ert als naiv

In der anschließe­nden Fragerunde stellte Joachim Greisle dem Autor die Frage nach seinen Beweggründ­en, dieses Buch zu schreiben. Ihn habe es im Laufe seines neunmonati­gen Studienauf­enthaltes in Stanford irritiert, mit welcher Naivität der unerschütt­erliche Zukunftsgl­aube der US-Amerikaner daherkomme, sagte Lüscher. Dem wollte er das differenzi­ertere und auch pessimisti­schere Gedankengu­t europäisch­er Philosophe­n entgegense­tzen. So ist ein aufregende­r, komischer und vor allem hochpoliti­scher Roman entstanden. Wer wissen möchte, ob Kraft den Wettbewerb gewinnt, dem sei die Lektüre des Buches wärmstens empfohlen.

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FOTO: ELISABETH WEIGER Jonas Lüscher (links) ist mit seinem Debütroman „Kraft“ein Werk geglückt, das von der Kritik hoch gelobt wurde. In Sigmaringe­n liest er in der Stadtbibli­othek.

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