Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Sturm der Bilder
In der Reformation wurden die Kirchen Oberschwabens ausgeräumt - Kultureller Aderlass, doch kein Einzelfall
Biberach ist eine attraktive Stadt. Eine ganz besondere Attraktion ging ihr allerdings früh verloren: Hätte man nicht 1531 im Zuge der Reformation die Stadtkirche St. Martin rigoros ausgeräumt, so wäre Biberach heute ein Wallfahrtsort für Liebhaber der Spätgotik. Denn damals verschwand spurlos ein gewaltiger, künstlerisch sicherlich herausragender Wandelaltar. Gegen 1490 gemalt von Martin Schongauer aus Colmar, einem der berühmtesten deutschen Künstler vor Albrecht Dürer, und geschnitzt vom großen Ulmer Bildhauer Niklaus Weckmann, war er ein prominentes Opfer der Bilderfeindlichkeit jener Zeit.
Du sollst dir kein Bildnis machen
Diese Bilderfeindlichkeit ist tief verankert in der jüdisch-christlichen Tradition. „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen.“So heißt es in den Zehn Geboten. Und das wirkte nach. Erst vom 4. Jahrhundert an öffneten sich die Kirchenväter vorsichtig dem Gedanken, dass über das Bild auch das Urbild verehrt werden könne, also Christus, Maria und die Heiligen. Dies zogen allerdings die Ikonoklasten – Verfechter eines absoluten Bilderverbots – während des byzantinischen Bilderstreits um 750 in Zweifel. Sie sahen die große Gefahr, dass die Verehrung dem Bildnis selbst gelte und nicht der symbolisierten Person, und lehnten folglich jede sakrale Kunst strikt ab.
Auf die Haltung der Kirche im Europa des Mittelalters gegenüber dem Bild hatte das allerdings keine Auswirkungen. Im Gegenteil: Je reicher die Städte wurden, desto mehr füllten sich ihre Kirchen mit Heiligenfiguren, deren Verehrung mit der Zeit in der Tat exzessive Züge annahm und letztlich ikonoklastische Gegenwehr geradezu provozierte.
Zwinglianischer Furor
Auch Martin Luther stand 1517 der Ausschmückung der Kirchen skeptisch gegenüber, weil er die Vorstellung vom Erlangen des Seelenheils durch Altarstiftungen für verwerflich hielt und stattdessen allein auf den Glauben an Christus setzte. Aber Aufrufe zur Zerstörung des Kirchenschmucks aus seinem Umfeld – an der Spitze Karlstadt mit seiner Schrift „Von der Abtuhung der Bylder“von 1520 – lehnte Luther ab und unterband sie auch. Bilder seien „zum ansehen, zum zeugnis, zum gedechtnis, zum zeychen“durchaus erlaubt.
Ganz anders in Oberdeutschland, wo die Reformation weniger von Luther geprägt wurde als vom viel radikaleren Schweizer Ulrich Zwingli. Bilderschmuck in den Kirchen sei „Götzendienst“, der vom wahren Gottesdienst abhalte, und müsse deswegen verboten werden, so argumentierte er. Sein Bannfluch: „Hinus allenthalb mit den Götzen.“So sahen es dann auch Reformatoren wie Martin Bucer aus Straßburg, Johann Oekolampad aus
Basel und Ambrosius Blarer aus Konstanz, die bei der Ausräumung der
Kirchen in Oberschwaben zugange waren. Nach Zwinglis Tod 1531 suchten sie zwar zunehmend die Annäherung an den lutherischen Norden, auch in der Bilderfrage – doch da war es für die Kunstwerke zu spät.
Diffuse Situation
Gleichwohl muss man sich vor Pauschalurteilen hüten. Als Kampfbegriff taugt der „Bildersturm“nur bedingt. Zu diffus stellt sich die reformatorische Situation während der 1530er-Jahre in Städten wie Ulm, Memmingen, Kempten, Lindau, Isny und Biberach dar. Es gab zunächst frevlerische Übergriffe von einzelnen Personen gegenüber Kunstwerken. Dann wurde die Stimmung aggressiver, der Aufstand genereller. Manche spontane Ausräumung einer Kirche, die mit totaler Vernichtung einherging, also mit dem Zerhacken und Verbrennen der Altäre, mag schon ein Bildersturm gewesen sein. Wie wäre sonst das völlige Verschwinden eines riesigen, 15 Meter hohen Hochaltars mit rund vierzig Figuren wie in Ulm zu erklären! Da muss die zuvor vom Stadtrat angestrebte geordnete Ausräumung, bei der die Stifter ihre Altäre in Sicherheit bringen konnten, aus dem Ruder gelaufen sein.
Machtkämpfe in den Städten
Ähnlich gestaltete sich wohl die Aktion in Biberach. In Memmingen dagegen ging die Entfernung des sakralen Schmucks angeblich relativ geregelt ab. Viele bilderfeindliche Maßnahmen in den Städten wurden von den Reformatoren von außerhalb angestoßen, andere entsprangen innerstädtischen Machtkämpfen zwischen Lutheranern und Zwinglianern – etwa in Kempten. Mancherorts – so in Isny – war die Diskussion zur Bilderfrage eher theologisch orientiert, anderswo standen sozialreformerische Anstöße im Vordergrund, zum Beispiel in Memmingen.
Parteiliche Chronisten
Ein heikles Problem ist die Quellensituation. In manchen Archiven klaffen schmerzliche Lücken. Zudem fällt die Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion in den Protokollen und Kommentaren ungemein schwer. Denn natürlich spielt die Parteilichkeit der Chronisten – ob alt- oder neugläubig – eine entscheidende Rolle. Das wirkt übrigens nach bis in die Jetztzeit: In vielen Kirchenführern zu evangelischen Gotteshäusern in Oberschwaben sind die Hinweise auf die vorreformatorische Ausstattung mehr als spärlich – dann muss auch nicht auf deren heute als peinlich empfundene Zerstörung eingegangen werden. Umgekehrt wird in katholischen Texten über solche Kirchen sehr schnell von einem „Bildersturm“der Evangelischen geredet, auch wenn Beweise dafür fehlen.
Unermessliche Verluste
Sehr vieles muss also im Vagen bleiben. Eines steht aber außer Frage: Der kulturelle Aderlass durch die Vernichtung der kirchlichen Ausstattungen war enorm. Dabei geht es einerseits um den unermesslichen kunsthistorischen Verlust. Aber auch das Gesamtbild der mittelalterlichen Frömmigkeit in unserer Region hat dadurch große und sehr bedauerliche Fehlstellen.
Alles ist relativ, sagt man gerne. Es mutet wie eine Ironie des Schicksals an, dass rund 150 Jahre nach der Reformation im Oberland die Ausstattung von Kirchen erneut in Gefahr geriet. Bedeutende neu erbaute Barockbasiliken wie Weingarten und Ottobeuren oder barock umgestaltete Kirchen wie Ochsenhausen oder Schussenried sind beredte Zeugen für eine „Abtuhung der Bylder“der anderen Art – nicht dem protestantischen Furor geschuldet, sondern dem Wandel des katholischen Kunstgeschmacks, aber im Endeffekt mit demselben Ergebnis. Die spätgotischen Ausstattungen wurden verschmäht, vernichtet oder verbannt und durch den modischen Barock aus dem Süden ersetzt. Bestenfalls haben sich Reste der Heiligenfiguren und Gemälde in Kirchen und Kapellen des Umlands erhalten – aus dem Zusammenhang gerissene traurige Überbleibsel, anrührend allemal.
Und heute? Von fanatischem Glauben angetriebene Bilderstürmer sterben nicht aus. Die Zerschlagung der Buddha-Statuen von Bamyan von 2001 durch die Taliban oder unlängst die Sprengung der Tempel von Palmyra durch den IS sind abschreckende Beispiele für einen religiös motivierten Ikonoklasmus – mit verheerenden Folgen.
Missachtung der Tradition
Aber es gibt keinen Grund für westliche Überheblichkeit. Auch in unseren gemäßigten Breiten sind wir ja nicht vor Missachtung von Traditionellem gefeit – zwar meist ohne Bezug zur Religion, aber mit gleichwohl negativen Folgen. Auch heutige Stadtplaner, Bauherren, Architekten lassen oft genug das Feingefühl gegenüber den Bauwerken der Altvorderen vermissen und geben sie der Spitzhacke preis. Der Hang zu Geringschätzung, schlimmstenfalls Zerstörung von kulturellem Erbe muss wohl im Menschen angelegt sein.