Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Forst als letzte Ruhestätte
Friedwälder verändern unsere Bestattungskultur und stillen die Sehnsucht nach der Natur
MESSKIRCH (nyf) Beim Begriff „Wald“denken wir zunächst an Natur und Vitalität, an das Leben. Doch mittlerweile dient der Forst auch als Begräbnisstätte. Der Trend zum Friedwald hat mittlerweile auch den Süden der Republik erreicht. Warum sich Menschen für den Wald als letzte Ruhestätte entscheiden:
Am Anfang des letzten, des allerletzten Weges steht nicht der Pfarrer, sondern der Förster. Im konkreten Fall Wolfgang Hafner. Und es sind nicht immer nur die Toten, die er begleitet, sondern auch die Lebenden. Denn viele Menschen, die darüber nachdenken, die Ewigkeit unter einem Baum im Wald zu verbringen, wollen bereits zu Lebzeiten ganz genau wissen, wie das denn so ist mit dem Totsein in einem Friedwald.
Waltraud und Albert Wolfen sind solche Menschen, denen bewusst ist, dass auch ihr Leben nicht ewig dauern wird. Dass es auch für sie ein Ende aller Tage gibt. Aber das macht das Ehepaar aus Krauchenwies nicht besonders unglücklich. „Mit 81 und 78 hat man viele Menschen kommen und schließlich für immer gehen sehen“, sagt Frau Wolfen, die jetzt über die laubbedeckten Wege geht. Tiefer hinein in den Friedwald Meßkirch, ihren Mann neben sich. Die Sonne setzt die herbstlichen Blätter unter ein Licht, das wie flüssiges Feuer von den Bäumen tropft. Die Luft ist erfüllt vom Gezwitscher der Vögel, die mit aller Macht die letzte Kraft des Sommers herbei singen. Vom Boden steigt der erdige Geruch sterbender Blätter auf. Trotz des schweren Atems scheinen die beiden Senioren an diesem Ort Kraft zu tanken.
Tröstlich, die Rinde zu streicheln
Tatsächlich hat die Szenerie etwas Tröstliches. Ein Gefühl von Schoß der Natur. Heimkommen. Asche zu Asche. Staub zu Staub. Mensch zu Natur. Nach ein paar Gehminuten ragt er in die Höhe, der Familienbaum der Wolfens. Waltraud Wolfen stützt sich mit einem Arm an der Buche ab, streichelt die Rinde, und das Herz wird ihr ein wenig schwer. Denn unter dem Geäst werden nicht nur sie und ihr Mann Albert eines Tages die letzte Ruhe finden. Seit vergangenem Jahr liegt hier bereits ihr eigener Sohn.
„Er war sofort begeistert von der Idee Friedwald“, erinnert sich Albert Wolfen, dessen Stimme dabei belegt klingt. Eine besondere Verbindung zum Wald habe es in der Familie zwar nie gegeben. Aber als Waltraud Wolfen dann, nachdem der Sohn gestorben war, gemeinsam mit ihrem Mann einen Baum im Meßkircher Forst ausgesucht hat, da wusste sie gleich, als sie vor ihm stand, „das ist er“.
Mit der Bedächtigkeit eines Priesters sagt die sanfte Stimme von Bruno Zöld: „Das erleben wir oft, dass Menschen, die sich für den Friedwald entscheiden, einen ganz bestimmten Baum finden und sofort wissen ,das ist meiner’.“Zöld ist innerhalb des Unternehmens Friedwald für Meßkirch zuständig. In Deutschland gibt es inzwischen 60 Standorte, zwei davon neben Meßkirch auch in Heiligenberg. Damit ist die letzte Ruhe unter Bäumen keine exotische Angelegenheit mehr, sondern sie rückt immer mehr ins Bewusstsein der Gesellschaft.
Und es gibt eine Reihe von Gründen, die für das Konzept sprechen: Während konventionelle Friedhöfe in der Regel ein Mindestmaß an Grabpflege nötig machen, ist im Friedwald alles weitgehend der Natur und der Macht der Jahreszeiten unterworfen. Grabschmuck ist nicht nur nicht erwünscht, sondern widerspricht dem Konzept des Friedwalds. „Wir wollen alles so weit wie möglich der Natur überlassen“, sagt Bruno Zöld. Natürlich sorgt der Förster dafür, dass die Wege begehbar bleiben. Er pflegt den Wald, sodass er zugänglich ist. Die Wege werden bei Bedarf mit Rindenmulch versehen. Totholz räumt er aus. Viel mehr aber auch nicht.
„Barrierefrei kann ein Friedwald also nicht sein“, erklärt Zöld, der peinlich genau darauf achtet, die konventionellen Bestattungsarten nicht schlecht zu machen. „Alles hat seine Berechtigung. Der Mensch soll frei darüber entscheiden können.“So wie die Familie Wolfen, die es „noch keinen Augenblick bereut hat“, sich für den Friedwald in Meßkirch entschieden zu haben. Ein bisschen liege das schon auch an ganz praktischen Erwägungen. Das Grab nicht pflegen zu müssen zum Beispiel, weil die Natur im Wandel der Jahreszeiten den immer passenden Schmuck parat habe. „Preisgünstig ist es auch“, sagt Albert Wolfen und zeigt auf den Familienbaum, der im konkreten Fall 4350 Euro gekostet hat und mit dessen Erwerb das Recht verbunden ist, bis zu zehn Personen dort zu bestatten. „Der Baum, und damit die Ruhestätte, sind dann bis zu 99 Jahre garantiert.“Diese 99 Jahre gelten ab dem Zeitpunkt der Friedwalderöffnung, der in Meßkirch wurde 2011 gegründet. Wird heute, im Jahr 2017 beigesetzt, so gilt die Ruhezeit also bis zum Jahr 2110 und beträgt 93 Jahre. Dazu kommt pro Urne eine Besetzungsgebühr von derzeit
275 Euro. Die Krematorien in Deutschland sind mittlerweile auf Waldbestattungen vorbereitet und verfügen über die entsprechenden Urnen.
Zwar ist in vielen Fällen bei der Beisetzung noch ein Pfarrer dabei, doch es geht auch ohne: „Die Abschiedsfeiern sind sehr individuell“, erklärt Bruno Zöld. Das reiche von der schweigsamen Zeremonie mit zwei Personen bis zur prächtigen Prozession mit
200 Leuten samt Kapelle. „Wir hatten auch schon mal Motorradfahrer, die die Urne des Kameraden auf der Harley Davidson zum Baum gefahren haben“, erinnert sich Zöld. Für alle Arten von Gedenken steht ein Andachtsplatz zur Verfügung.
„In der Regel sind die Beisetzungen aber eher ruhig gehalten“, sagt Förster Wolfgang Hafner, der – wenn es soweit ist – die Erde aushebt und die Stelle für die Urne vorbereitet. Am Anfang sei es schon ein wenig seltsam gewesen, sich mit diesen neuen Aufgaben zu befassen. Schließlich hatte er mit Bestattungen nicht das Geringste zu tun, bevor etwa sechs Hektar Wald des Hauses Fürstenberg zum Friedwald wurden. „Aber inzwischen ist das ganz normal für mich geworden“, sagt Hafner. Allerdings müsse man in der Lage sein, die Trauer der anderen nicht allzu nah an sich heranzulassen. Er selbst kann sich inzwischen ebenfalls vorstellen, einmal im Wald – seinem jetzigen Arbeitsplatz – die letzte Ruhe zu finden.
Den eigenen Baum gesät
Die Rührung legt sich deutlich hörbar auf die Stimme des Försters, wenn er die kleine Geschichte von seinem Baum erzählt: Vor ein paar Jahren habe er im Büro ein kleines Kuvert mit Akazien-Samen herumliegen gehabt. Zunächst habe er nicht gewusst, was damit anfangen. Dann setzte Hafner ein paar Samen an einer schönen Stelle im Friedwald in die Erde. Und siehe da: Bald wurde eine zarte Pflanze daraus, dann ein kräftiges Bäumchen. Und irgendwann wird daraus Hafners Baum gewachsen sein. Einer, mit dem der Förster auf eine berührende Art verbunden ist. Eine Beziehung besonderer Art.
„So etwas suchen die Menschen bei uns“, bestätigt Bruno Zöld, während Waltraud und Albert Wolfen sich von ihrem Sohn verabschieden, indem sie mit der Hand über die Rinde des Baumes streicheln. „So schön, wie es heute hier ist, könnte es auf dem Friedhof gar nicht sein“, sagt Waltraud Wolfen, und ihr Mann stützt sie ein wenig auf dem kurzen Marsch zum Parkplatz. Zum Abschied schickt die Sonne noch einmal besonders kräftige Strahlen, und der Wind schiebt die Zweige ein wenig beiseite, damit das Licht die bunten Blätter noch einmal zum Leuchten bringen kann. „Auf Wiedersehen“, sagt Waltraud Wolfen mit ihrer zarten Stimme und wirft eine Kusshand in jene Richtung, wo der Sohn ruht und wo die ganze Familie eines Tages vereint sein wird.