Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Größtes Flüchtlingslager der Welt wächst und wächst
Bangladesch will alle geflohenen Rohingya an einem einzigen Ort unterbringen – Kritik von Hilfsorganisationen
RAVENSBURG - Die Regierung von Bangladesch plant an der Grenze zu Birma ein Flüchtlingslager von gigantischen Ausmaßen. Helfer warnen vor katastrophalen Folgen für die dort lebenden Menschen – Angehörige der ethnischen Minderheit der Rohingya, die aus ihren angestammten Siedlungsgebieten in Birma geflohen sind.
Die Situation im Grenzgebiet von Birma und Bangladesch gilt mittlerweile als die am schnellsten sich verschärfende humanitäre Krise weltweit: Hilfsorganisationen sprechen jetzt von bis zu 900 000 Rohingya, die in Bangladesch Schutz vor birmanischen Soldaten suchen. Um der Lage Herr zu werden, hat die Regierung in Dhaka kürzlich angekündigt, sämtliche Flüchtlinge in einem einzigen Lager unterzubringen, nämlich im Umfeld eines bestehenden Camps in Kutupalong direkt an der Grenze, wo nach letzten verfügbaren Daten bereits 300 000 Menschen leben – die Zahl dürfte aber mittlerweile überholt sein. 1200 Hektar Land will die Regierung bereitstellen – und dafür die übrigen 23 Camps in der Region schließen.
Würden bei Kutupalong tatsächlich 900 000 Menschen angesiedelt, wäre dies das mit Abstand größte Flüchtlingslager der Welt. Zum Vergleich: Im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia, das bislang als weltgrößtes Flüchtlingslager galt, lebten nach den neuesten vorliegenden, etwa ein Jahr alten Zahlen 250 000 Menschen.
Bangladesch ist selbst ein äußerst armer Staat und für die Bewältigung In Kutupalong hatten sich schon vor der aktuellen Flüchtlingskrise Rohingya niedergelassen. Nun ist das Camp explosionsartig gewachsen – es ist jetzt das größte Flüchtlingslager der Welt.
der Flüchtlingskrise auf die Unterstützung von Hilfsorganisationen angewiesen. Diese sehen die Pläne für das Riesenlager kritisch. „Jede Regierung möchte in so einer Situation die Übersicht behalten, das ist verständlich“, sagt Jean Lieby vom UN-Kinderhilfswerk Unicef im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
„Aus unserer Sicht ist es aber besser, wenn die Lager überschaubar bleiben, aus menschlichen und aus medizinisch-hygienischen Gründen.“Zu letzteren zählt Lieby die höhere Seuchengefahr – sie steigt, je mehr Menschen unter hygienisch schlechten Bedingungen auf engem Raum zusammenleben. Gerade erst
hat Unicef gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation und nationalen Behörden 650 000 Menschen in den Lagern gegen Cholera geimpft.
Schon jetzt ist die Situation in Kutupalong und den übrigen Lagern dramatisch, und täglich kommen dort weitere Neuankömmlinge aus
Birma an. 60 Prozent der Flüchtlinge sind Kinder, nicht wenige von ihnen haben keine lebenden Angehörigen mehr. Hinzu kommt ein hoher Anteil an Frauen, die in den Lagern der Gefahr sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Die Sicherheitskräfte in Bangladesch können sie nicht effektiv schützen.
Der Konflikt zwischen der Armee im mehrheitlich buddhistischen Birma und den muslimischen Rohingya war Ende August eskaliert, als Rohingya-Rebellen Soldaten und Polizisten angriffen und Dutzende Sicherheitskräfte töteten. Das Militär reagierte mit Gewalt und löste so die aktuelle Flüchtlingskrise aus. Bei einer Konferenz am vergangenen Montag in Genf hatten Regierungen und andere Geldgeber 290 Millionen Euro für die Krisenhilfe zugesagt – nach Angaben von UN-Organisationen wie Unicef wären zumindest 370 Millionen Euro nötig, um die dringendste Hilfe zu finanzieren.