Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Zahl der Asylklagen steigt
Zahl der Flüchtlinge hat sich in zwei Jahren verdoppelt
BERLIN (AFP/epd) - In Deutschland gab es Ende 2016 doppelt so viel schutzsuchende Flüchtlinge wie zwei Jahre zuvor: Die Zahl lag bei rund 1,6 Millionen. Das waren 851 000 mehr als Ende 2014, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Dazu zählen auch Ausreisepflichtige, über deren Verbleib die Behörden nicht immer Bescheid wissen. Rasant zugenommen haben die Klagen gegen Asylbescheide: Sie haben sich innerhalb eines Jahres verfünffacht.
Schutzsuchende sind Ausländer, die sich unter Berufung auf humanitäre Gründe in Deutschland aufhalten. Dazu zählen beispielsweise Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden, anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Konvention, sogenannte subsidiär Schutzberechtigte sowie abgelehnte Asylbewerber, die sich weiterhin in Deutschland aufhalten. Etwa die Hälfte der Schutzsuchenden kam aus Syrien, Afghanistan und Irak.
BELGRAD - Keine 20 Kilometer trennen die Flüchtlinge im serbischen Transitcamp Adasevci von der Europäischen Union. Vor dem Lager an der Autobahn 3 zwischen Belgrad und Zagreb donnern Lastwagen und Autos vorbei. Wer nach Kroatien einreisen will, zückt einfach den Personalausweis. Doch für die rund 660 Geflüchteten in Adasevci bleibt der Schlagbaum in Richtung Westeuropa unten. Manche sitzen hier schon seit Monaten fest. 100 Kilometer nördlich ist der serbisch-ungarische Grenzübergang Hercegszántó. Doch auch Ungarn hat die Grenzen für Flüchtlinge geschlossen, nur acht pro Tag dürfen durch den Zaun. Serbien ist vom Transitland zum Wartesaal geworden.
„Uns geht es gut hier. Wir wollen aber nicht hier bleiben. Für uns ist es ein Stopp auf dem Weg zu unseren Freunden und Familien“, sagt Mustafa Halil. Die meisten wollen nach Deutschland, Schweden und in die Niederlande. Der 28-jährige Afghane lebt seit ein paar Wochen im Lager Adasevci. Auf dem Gelände toben Kinder mit ihren Müttern auf einem Spielplatz. Dahinter sind die Mannschaftszelte, in denen die jungen Männer schlafen. In einem Backsteingebäude, das noch vor ein paar Jahren ein Motel war, sind vor allem Familien untergebracht. Mehr als die Hälfte der Menschen in Adasevci sind Kinder und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Vor zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise auf der Balkanroute, waren es meistens Männer.
Platz machen für Luxusviertel
Serbien bekam 2015 viel Lob aus Deutschland für seine Flüchtlingspolitik, noch immer gilt sie als gut. Doch im vergangenen Winter gingen Bilder aus verlassenen Lagerhallen Belgrads um die Welt, in denen Flüchtlinge bei Minustemperaturen hausten. Rund 1700 sollen es gewe- sen sein. Für diese Situation ist das Land kritisiert worden. Die alten Hallen mussten im Mai Platz für das Milliardenprojekt „Belgrade Waterfront“machen, wo an den Ufern der Save ein neues Luxusviertel entsteht. Belgrader nennen es auch spöttisch Mini-Dubai.
„Es lief nicht alles perfekt, die Kommunikation hätte besser sein können, aber die Regierung tat ihr Bestes. All diese Flüchtlinge wurden in die Aufnahmelager gebracht und registriert“, berichtet Sibina Golubovic, Notfallteamleiter im SerbienBüro der Hilfsorganisation Care. Heute gibt es 18 Asylunterkünfte im Land. In Lagern wie Adasevci finanziert Care warme Mahlzeiten, installiert die Sanitär- einrichtungen, organisiert Freizeitgestaltung. Um die Infrastruktur kümmert sich der serbische Staat. Gestützt wird das Konstrukt vor allem durch EU-Gelder sowie Spenden. Mehr als 20 Millionen Euro gab die EU für die Bewältigung der Flüchtlingskrise in Serbien bisher aus.
In Adasevci fragen Mustafa Halil und seine Freunde die Fremden immer nach Wegen in die EU. „Wir wissen nicht, was wir machen sollen“, sagt er. Wenn sie nach Westeuropa wollen, führt der kürzeste Weg über Ungarn und Kroatien. Der Grenzübertritt nach Kroatien ist für sie aber illegal. „Wir alle fürchten uns sehr davor. Die kroatischen Polizisten schlagen uns mit Stöcken am ganzen Körper, hetzen Hunde auf uns, werfen unsere Handys auf den Boden und treten darauf. Sie sind schlimmer als in Bulgarien und Mazedonien“, sagt er. Seine Freunde nicken. „Wir versuchen es aber immer wieder“, sagt Abduhalla aus Pakistan und zeigt seine Wunden am Fuß. Der 14-jährige Nur Rahman aus Afghanistan hat eine Platzwunde am Kopf.
Wohin die Menschen aus Adasevci gehen, weiß auch die Lagerleitung nicht. „Wir haben keine Zahlen dafür, aber viele von ihnen nehmen den Weg in Richtung Rumänien. Manche gehen nach Griechenland zurück oder nutzen Schlepper“, sagt ein Verantwortlicher. Vor Schleppern seien sie in den Lagern sicher, dort ist regelmäßig die Polizei vor Ort. Laut Schätzungen der lokalen Hilfsorganisation „Novi Sad Humanitarian Center“, mit der auch Care zusammenarbeitet, leben etwa 200 Flüchtlinge in der Gegend um das Camp. Sie verstecken sich in Feldern und Scheunen. Das SchlepperGeschäft boomt. In einem Land mit niedrigen Einkommen versuchen Taxifahrer, so schnelles Geld zu machen. Gerade in den Dörfern um Belgrad gibt es immer wieder Berichte von festgenommenen Schleppern.
Mustafa Halil und seine Freunde wollen keine Schlepper nutzen, sagen sie. Sie kennen Erzählungen von anderen, die erwischt oder betrogen wurden. Bis sie einen Weg in die EU finden, warten sie in Adasevci an der Autobahn 3. Die heißt übrigens auch „Europastraße 70“.