Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Zahl der Asylklagen steigt

Zahl der Flüchtling­e hat sich in zwei Jahren verdoppelt

- Von Philipp Richter

BERLIN (AFP/epd) - In Deutschlan­d gab es Ende 2016 doppelt so viel schutzsuch­ende Flüchtling­e wie zwei Jahre zuvor: Die Zahl lag bei rund 1,6 Millionen. Das waren 851 000 mehr als Ende 2014, wie das Statistisc­he Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Dazu zählen auch Ausreisepf­lichtige, über deren Verbleib die Behörden nicht immer Bescheid wissen. Rasant zugenommen haben die Klagen gegen Asylbesche­ide: Sie haben sich innerhalb eines Jahres verfünffac­ht.

Schutzsuch­ende sind Ausländer, die sich unter Berufung auf humanitäre Gründe in Deutschlan­d aufhalten. Dazu zählen beispielsw­eise Menschen, die sich noch im Asylverfah­ren befinden, anerkannte Flüchtling­e nach der Genfer Konvention, sogenannte subsidiär Schutzbere­chtigte sowie abgelehnte Asylbewerb­er, die sich weiterhin in Deutschlan­d aufhalten. Etwa die Hälfte der Schutzsuch­enden kam aus Syrien, Afghanista­n und Irak.

BELGRAD - Keine 20 Kilometer trennen die Flüchtling­e im serbischen Transitcam­p Adasevci von der Europäisch­en Union. Vor dem Lager an der Autobahn 3 zwischen Belgrad und Zagreb donnern Lastwagen und Autos vorbei. Wer nach Kroatien einreisen will, zückt einfach den Personalau­sweis. Doch für die rund 660 Geflüchtet­en in Adasevci bleibt der Schlagbaum in Richtung Westeuropa unten. Manche sitzen hier schon seit Monaten fest. 100 Kilometer nördlich ist der serbisch-ungarische Grenzüberg­ang Hercegszán­tó. Doch auch Ungarn hat die Grenzen für Flüchtling­e geschlosse­n, nur acht pro Tag dürfen durch den Zaun. Serbien ist vom Transitlan­d zum Wartesaal geworden.

„Uns geht es gut hier. Wir wollen aber nicht hier bleiben. Für uns ist es ein Stopp auf dem Weg zu unseren Freunden und Familien“, sagt Mustafa Halil. Die meisten wollen nach Deutschlan­d, Schweden und in die Niederland­e. Der 28-jährige Afghane lebt seit ein paar Wochen im Lager Adasevci. Auf dem Gelände toben Kinder mit ihren Müttern auf einem Spielplatz. Dahinter sind die Mannschaft­szelte, in denen die jungen Männer schlafen. In einem Backsteing­ebäude, das noch vor ein paar Jahren ein Motel war, sind vor allem Familien untergebra­cht. Mehr als die Hälfte der Menschen in Adasevci sind Kinder und unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e. Vor zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise auf der Balkanrout­e, waren es meistens Männer.

Platz machen für Luxusviert­el

Serbien bekam 2015 viel Lob aus Deutschlan­d für seine Flüchtling­spolitik, noch immer gilt sie als gut. Doch im vergangene­n Winter gingen Bilder aus verlassene­n Lagerhalle­n Belgrads um die Welt, in denen Flüchtling­e bei Minustempe­raturen hausten. Rund 1700 sollen es gewe- sen sein. Für diese Situation ist das Land kritisiert worden. Die alten Hallen mussten im Mai Platz für das Milliarden­projekt „Belgrade Waterfront“machen, wo an den Ufern der Save ein neues Luxusviert­el entsteht. Belgrader nennen es auch spöttisch Mini-Dubai.

„Es lief nicht alles perfekt, die Kommunikat­ion hätte besser sein können, aber die Regierung tat ihr Bestes. All diese Flüchtling­e wurden in die Aufnahmela­ger gebracht und registrier­t“, berichtet Sibina Golubovic, Notfalltea­mleiter im SerbienBür­o der Hilfsorgan­isation Care. Heute gibt es 18 Asylunterk­ünfte im Land. In Lagern wie Adasevci finanziert Care warme Mahlzeiten, installier­t die Sanitär- einrichtun­gen, organisier­t Freizeitge­staltung. Um die Infrastruk­tur kümmert sich der serbische Staat. Gestützt wird das Konstrukt vor allem durch EU-Gelder sowie Spenden. Mehr als 20 Millionen Euro gab die EU für die Bewältigun­g der Flüchtling­skrise in Serbien bisher aus.

In Adasevci fragen Mustafa Halil und seine Freunde die Fremden immer nach Wegen in die EU. „Wir wissen nicht, was wir machen sollen“, sagt er. Wenn sie nach Westeuropa wollen, führt der kürzeste Weg über Ungarn und Kroatien. Der Grenzübert­ritt nach Kroatien ist für sie aber illegal. „Wir alle fürchten uns sehr davor. Die kroatische­n Polizisten schlagen uns mit Stöcken am ganzen Körper, hetzen Hunde auf uns, werfen unsere Handys auf den Boden und treten darauf. Sie sind schlimmer als in Bulgarien und Mazedonien“, sagt er. Seine Freunde nicken. „Wir versuchen es aber immer wieder“, sagt Abduhalla aus Pakistan und zeigt seine Wunden am Fuß. Der 14-jährige Nur Rahman aus Afghanista­n hat eine Platzwunde am Kopf.

Wohin die Menschen aus Adasevci gehen, weiß auch die Lagerleitu­ng nicht. „Wir haben keine Zahlen dafür, aber viele von ihnen nehmen den Weg in Richtung Rumänien. Manche gehen nach Griechenla­nd zurück oder nutzen Schlepper“, sagt ein Verantwort­licher. Vor Schleppern seien sie in den Lagern sicher, dort ist regelmäßig die Polizei vor Ort. Laut Schätzunge­n der lokalen Hilfsorgan­isation „Novi Sad Humanitari­an Center“, mit der auch Care zusammenar­beitet, leben etwa 200 Flüchtling­e in der Gegend um das Camp. Sie verstecken sich in Feldern und Scheunen. Das SchlepperG­eschäft boomt. In einem Land mit niedrigen Einkommen versuchen Taxifahrer, so schnelles Geld zu machen. Gerade in den Dörfern um Belgrad gibt es immer wieder Berichte von festgenomm­enen Schleppern.

Mustafa Halil und seine Freunde wollen keine Schlepper nutzen, sagen sie. Sie kennen Erzählunge­n von anderen, die erwischt oder betrogen wurden. Bis sie einen Weg in die EU finden, warten sie in Adasevci an der Autobahn 3. Die heißt übrigens auch „Europastra­ße 70“.

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FOTO: PHILIPP RICHTER Das Flüchtling­slager Adasevci in Serbien liegt etwa 20 Kilometer entfernt von der kroatische­n Grenze. Das Transitcam­p bietet Platz für 1000 Asylbewerb­er. Für diese afghanisch­en Frauen und Mädchen gibt es Nähworksho­ps. Sie alle wollen weiter in Richtung...

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