Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Neuer Schwung im Schatten des Großglockners
Abgelegen, familiär und topmodern – Kals in Osttirol lockt ruhesuchende Winterurlauber
Aussteigen bitte! Die Gondel hängt in 2600 Metern Höhe am Gipfel des Cimaross. Und jedem Neuankömmling bleibt die Spucke weg. Egal, wohin man schaut: Rundherum erheben sich 3000erGipfel. Wahnsinn, wie sie in der Sonne glitzern! Allen voran der König unter ihnen, der Großglockner, der höchste Berg Österreichs. Weiß und schroff wacht er über allem. Am besten, erstmal Pause machen, in Ruhe schauen und eine Kleinigkeit essen. Da steht ein Schild: Adlerlounge. Und wieder eine Überraschung. Es ist keine gewöhnliche Berghütte, sondern ein stylischer Würfel mit Glas und Stahl, Designermöbeln und Haubenküche. PetersilienwurzelCappuccino und hausgemachte Gnocchi statt matschiger Pommes und Instantsuppe: Das hätte man nicht erwartet, nicht an der Endstation einer Gondelbahn im östlichsten Zipfel Österreichs, hoch über dem beschaulichen Ort Kals.
Bergsteiger kennen das 1200-Einwohner-Dorf schon lange. Es erstreckt sich in einem schönen Seitental Osttirols, direkt angrenzend an den Nationalpark Hohe Tauern. Hübsche Holzhäuser, zu elf Weilern gruppiert, zwei Kirchen, eine Kapelle, keine verschandelten Hänge, ein Tiroler Idyll. Näher als hier kommt man an den Großglockner nicht heran. Deshalb brachen seit der Erstbesteigung im Jahr 1855 unzählige Gipfelstürmer vom Dorf auf, um ihn zu erklimmen, aber fast alle im Sommer. Der erste Sessellift Anfang der 1960er-Jahre brachte zwar auch den Wintertourismus ein wenig in Schwung.
Neue Gondelbahn
Aber weiter passierte nicht viel, und irgendwann hat das abgelegene Kals den Anschluss verloren ans übrige Tirol mit all seinen Skischaukeln und XXL-Bahnen. Sonst gab es aber auch nicht viel zu verdienen.Viele Einwohner mussten weit pendeln, andere wanderten ganz ab. Der Schule drohte die Schließung, der einzige Lebensmittelladen machte dicht, es gab keinen Friseur und keinen Arzt mehr, schließlich wurde der Liftbetrieb mitten in der Saison vor elf Jahren eingestellt. Was nun? Ganz aufhören oder weitermachen, aber wie? ANZEIGEN Da kamen die Zillertaler Martha und Heinz Schultz ins Spiel, ein umtriebiges Unternehmer-Geschwisterpaar, das neben einem Bauunternehmen mehrere Skiresorts, Bahnen und touristische Betriebe in Kärnten und Tirol betreibt. Sie hatten das nötige Geld, witterten gerade in der Unverbrauchtheit Potenzial und gaben ei- ne Gondelbahn in Auftrag, welche die Kalser Pisten mit denen des benachbarten Matrei verband. Das „Großglockner Resort“ist jetzt das größte der sieben Skigebiete Osttirols: 15 moderne Liftanlagen, fast 42 Pistenkilometer, bei Bedarf künstlich beschneit, familienfreundlich ausgerichtet, mit großem Kinderan- gebot, einfachen Übungshügeln. Für richtig gute Skifahrer sind sechs Kilometer schwarze Abfahrten und Freeride-Hänge reserviert.
Die Sonne wärmt auch im Winter. Und so kann man es nach der Einkehr in der Adlerlounge auch auf den 22 Kilometern roten Pisten entspannt laufen lassen in diesem klei- nen, feinen Skigebiet, weitab von Ischgl oder St. Anton, ohne Wartezeiten, ohne Après-Ski-Zirkus, ohne Remmidemmi: „Genau das ist es, was die Leute immer mehr suchen, und deshalb war es ein Glück, dass Kals lange Jahre geschlafen hat“, sagt Skilehrer Bernhard Gratz. Deshalb kam er gern in seine Heimat zurück, am Arlberg und in Australien, so sagt er, war es ihm zu voll.
Topmodernes Ski-Resort
Selbst der Pfarrer habe schließlich seinen Frieden gemacht mit den Neuerungen, erzählt Martha Schultz später beim Abendessen im Gradonna Mountain Resort. Es liegt eindrucksvoll zwischen Bäumen auf einem Felsvorsprung über dem Dorf am Ende der Skipiste. Ein weiterer Coup des Geschwisterpaares. Und eines der größten österreichischen touristischen Projekte der letzten Jahre. Hier ist Platz für 500 Gäste in
130 Hotelzimmern nebst Suiten in einem 40 Meter hohen Turm und
41 Chalets: Das stieß auf Kritik bei den Grünen, beim Alpenverein und auch bei Kalsern. Aber im Ort hat sich die Lage inzwischen entspannt.
Anerkennung von allen Seiten gibt es für die nachhaltige Passivbauweise, die Fassaden aus LärchenholzSchindeln, das Wasser aus der eigenen Quelle. Vor allem aber für den Aufschwung in Kals. Junge Leute renovieren inzwischen die verstaubten Pensionen ihrer Eltern, neue Geschäfte eröffnen, die Schule kann wohl überleben. Endlich, sagen sie, endlich haben wir wieder eine Chance.