Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wo Mann fast alles darf
Neuinszenierung von Kurt Weills und Bertolt Brechts „Mahagonny“am Opernhaus Zürich wirkt angestaubt
ZÜRICH - Seit mehr als 30 Jahren war Kurt Weills Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“am Opernhaus Zürich nicht mehr im Repertoire vertreten. Jetzt steht das Stück, dessen Libretto Bertolt Brecht geschrieben hat, dort in einer aufwendigen Neuinszenierung von Sebastian Baumgarten wieder auf dem Spielplan. Unter der Leitung von Chefdirigent Fabio Luisi treten Gesangsstars wie Karita Mattila als Begbick, Annette Dasch als Jenny und Christopher Ventris als Paul Ackermann auf.
Die Geschichte des als Anti-Oper konzipierten Dreiakters ist schnell erzählt. Die flüchtigen Ganoven Fatty, Dreieinigkeitsmoses und Puffmutter Begbick gründen in einer Wüste die „Paradiesstadt“Mahagonny. Trapper, Goldsucher und andere Abenteurer sollen in diesem Prototyp von Las Vegas für bares Geld Vergnügen und Wollust kaufen. Anspielungen auf das biblische Sodom und Gomorrha sind ebenso gewollt wie allegorische Verweise auf Unternehmertum und das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Vier Holzfäller aus Alaska werden mit Alkohol und Sex verwöhnt. Ihr Anführer Paul Ackermann freundet sich mit der Prostituierten Jenny an. Ein Taifun droht, verschont aber zunächst die Stadt, die nach einer Wirtschaftskrise aufblüht. Luxus und Überdruss machen sich breit. Alles ist erlaubt außer Besitzlosigkeit. Neben „Fressen“, „Kämpfen“und „Saufen“gibt es noch „Lieben“im Sinne des F-Worts. Als Paul kein Geld mehr hat, wird er hingerichtet. Freundschaft, Liebe, Mitleid? Fehlanzeige. Auch die Justiz ist nur käuflich.
Zynisch und drastisch wird die Funktionsweise eines schrankenlosen Raubtier-Kapitalismus vorgeführt, der schließlich an seinen eigenen Prinzipien scheitert. Beim Untergang der Stadt kann niemand helfen. Vieles an diesem Konstrukt wirkt heute angestaubt. Das künstliche Paradies existiert nur für Männer. Frauen kommen als Menschen, die Vergnügen haben wollen, nicht vor. Brechts Anti-Illusionismus winkt permanent mit dem Zaunpfahl, seine Gesellschaftskritik gerät allzu plakativ und eindimensional. Komplexere Zusammenhänge bleiben auf der Strecke.
Baumgarten, der vor knapp zwei Jahren in Zürich Wolfgang Rihms „Hamletmaschine“als pralles Theater auf die Bühne gebracht hat, zieht nun vergeblich alle Register seiner Inszenierungskunst. Selbst üppige Breitwandfilm-Zitate und ComicElemente, knallig bunte Kostüme und Jahrmarktkulissen, Revue-Nummern des Chors und inflationär eingesetzte Tanzeinlagen vermögen dem Geschehen die lehrstückhafte Langeweile nicht auszutreiben.
Schon der slapstickhafte Beginn in der Wüste gerät plump. Die grotesken Lackklamotten der Nutten sind von Erotik meilenweit entfernt. Auch einfallslose Schunkeleien an der Rampe und abgeschmackte Roboterbewegungen der Tänzer können den Versuch nicht retten, episches Theater auf die Opernbühne zu übertragen. Einstige Schockmomente von „Mahagonny“sind im Zeitalter abgebrühter Pop-Shows längst zu harmlos biederen Späßen verblasst. Auch demonstrativ durchexerzierte, nihilistisch gewendete Parallelen zur Passion Christi haben ihr provokatives Potenzial verloren.
Nur Partitur hat mehr zu bieten
Dass sich diese Aufführung szenisch früh totläuft, kann auch die über weite Strecken imposante Musik nicht verhindern. Unterhaltsamer Schwung, ätzende Satire und die von Brecht gewünschte Kulinarik wollen sich selten einstellen. Die brillante Partitur von Weill, dem sein Lehrer Ferruccio Busoni einst eine Karriere als „Verdi der Armen“prophezeite, hat jedoch weit mehr zu bieten.
Souverän entfaltet Fabio Luisi ihre stilistischen Wechselbäder von barocken Fugengestus über grandiose Oratorienparodien und angeschrägte Zitate aus romantischen Opern bis hin zu Operettentonfall, Pseudo-Jazz und Schlagern. Annette Dasch changiert flexibel zwischen Operngesang und Chanson. Christopher Ventris hält als atheistischer Prophet ein tenoral machtvolles Plädoyer für seine Diesseitsreligion. Großartig singen auch Karita Mattila, Christopher Purves (Dreieinigkeitsmoses) und der von Janko Kastelic vorbereitete Chor.