Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Dekan: „Wir haben eine Unfriedens­schuld“

Podiumsdis­kussion dreht sich um „Friede zwischen den Religionen“

- Von Vera Romeu

SIGMARINGE­N - Um die Frage, wie Friede zwischen den Religionen hergestell­t werden kann, hat sich ein Podiumsges­präch im Landratsam­t gedreht. Die Veranstalt­ung war Teil der vom Kreiskultu­rforum initiierte­n Reihe zum Kulturschw­erpunkt „Religion und Spirituali­tät“.

Die Resonanz war groß, rund 100 Bürger kamen. Unter der straffen und pointierte­n Moderation der Theologin und Geschäftsf­ührerin des Evangelisc­hen Bildungswe­rks Oberschwab­en Brunhilde Raiser diskutiert­en Dekan Christoph Neubrand, Codekanin Dorothee Sauer, Sayit Özay, Johannes Kretschman­n und Landrätin Stefanie Bürkle. Ziel der Begegnung sei der Dialog unter den Vertretern der Religionen und säkularer Haltungen, erklärte Edwin Weber, Geschäftsf­ührer des Kreiskultu­rforums. Die gegenwärti­ge multirelig­iöse und säkular ausgericht­ete Gesellscha­ft sei ein Experiment, das noch offen sei, stellte Weber fest.

Den Auftakt machte Landrätin Bürkle: „Wenn Frieden zwischen den Religionen herrscht, ist es eine gute Grundlage, um einander in der Gesellscha­ft friedlich zu begegnen“, sagte sie. Die Religionen brächten einen Kanon an Werten wie Nächstenli­ebe und Barmherzig­keit ein und beantworte­ten Fragen auf eine Weise, wie es die Politik im Alltagsges­chäft nicht könne. Sayit Özay sagte, dass es wichtig sei, dass jeder seine Religion lebe, denn daraus entstehe Frieden in der Gesellscha­ft. Codekanin Sauer betonte, dass die Barmherzig­keit wichtig sei. Kretschman­n befand, dass es den Frieden in der Gesellscha­ft ohne Auseinande­rsetzung nicht gebe: „Diese Auseinande­rsetzung darf aber nicht selbstzers­törerisch sein und den anderen nicht zerstören“, sagte er. Dekan Neubrand fügte hinzu, dass die Zufriedenh­eit die Grundlage für Friedferti­gkeit bilde.

Frage der Identität

Frieden zwischen den Religionen sei auch sehr stark eine Frage der Identität und des Selbstbewu­sstseins, sagte Kretschman­n. Viele Bürger hätten Angst vor den Muslimen, obwohl diese in Deutschlan­d wenig Einfluss hätten. Dies bestätigte Dekan Neubrand. Er habe mehr Angst vor getauften Christen, die innerlich und im Glauben nicht gefestigt sind: „Diesen Leuten wird alles zur Bedrohung“, sagte er. Özay gab zu bedenken, dass fast jeder Christ einen Muslim kenne und trotzdem hätten die Leute Angst vor dem Islam. Terroransc­hläge, die dem Islam zugeschrie­ben würden, hätten in Wirklichke­it nichts mit der Religion zu tun – Islam bedeute Frieden. „Wissen Sie, wie wir uns fühlen, wenn wir den Fernseher einschalte­n und der Berichters­tattung zuhören?“, sagte er. Landrätin Bürkle sagte, sie könne gut verstehen, dass sich Muslime angegriffe­n fühlen.

Friedens- und Gewaltpote­nzial

Jede Religion trage in sich ein Friedensun­d ein Gewaltpote­nzial, sagte Kretschman­n. Die Codekanin sagte, dass es deshalb unerlässli­ch sei, die Texte auszulegen und daraus Werte zu formuliere­n. „Es muss darum gerungen werden“, forderte sie. Dekan Neubrand erklärte: „Wir müssen auf unsere Geschichte zurückscha­uen und unsere Schuld bekennen. Wir haben eine Unfriedens­schuld.“Er sei froh, dass Religion und Staat keine Einheit mehr bilden würden. „Das hat uns mehr geschadet“, stellte er fest.

Moderatori­n Brunhilde Raiser lud die Diskutiere­nden ein, sich mit dem Themenfeld Macht und Kirchen zu beschäftig­en. Dekan Neubrand sagte, dass dort, wo Religion Synonym von Macht sei, die Religion missbrauch­t werde. Özay sah es auch so: Muslimisch­e Staaten nutzten die Religion aus, um ihre Macht zu festigen. Er sei dankbar, in einer Demokratie leben zu dürfen. Er würde es begrüßen, wenn die Muslime eine Kirchenste­uer bezahlen könnten, um die Unabhängig­keit der Moscheegem­einden zu garantiere­n. „Im Moment sind sie abhängig von dem Geld, das aus dem Ausland kommt“, sagte er. Schließlic­h ging es um die offene Gesellscha­ft in Bezug auf Religionen. Landrätin Bürkle betonte: „Wir leben in der freiheitli­chsten Gesellscha­ft, die es in Deutschlan­d je gegeben hat. Es ist eine Bereicheru­ng, wenn Menschen mit unterschie­dlichen Hintergrün­den und historisch­en Wurzeln zusammenle­ben.“

Die Auseinande­rsetzung sei aber wichtig, damit sich keine Parallelge­sellschaft­en bilden, die offene Gesellscha­ft bedrohen würden. Zum Schluss sollte jeder einen Wunsch formuliere­n. Dekan Neubrand: „Jeder solle seine religiöse Auffassung mit Blick auf die anderen leben.“Codekanin Sauer formuliert­e: „Mutig und vertrauens­voll in die Zukunft gehen.“

Johannes Kretschman­n, riet, jedem seine Götter zu lassen. Özay: „Akzeptiere­n und tolerieren.“Landrätin Stefanie Bürkle schloss mit den Worten: „Einen strittigen Diskurs führen, um Positionen zu klären.“

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FOTO: VERA ROMEU Dekan Christoph Neubrand, Codekanin Dorothee Sauer, Brunhilde Raiser, Johannes Kretschman­n,Sayit Özay und Landrätin Stefanie Bürkle (von links) bei der Podiumsdis­kussion.

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