Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Herkunft beeinflusst Lesefähigkeit
Kinder aus sozial schwachen Familien lesen laut Iglu-Studie häufiger schlecht
BERLIN - Hans-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, hat tief beunruhigt auf das Ergebnis der neuen Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) reagiert, nachdem immer mehr Viertklässler in Deutschland nicht richtig lesen können. „Das ist ein gefährliches Alarmsignal, die Schere darf nicht noch weiter auseinanderklaffen!“. Doch was läuft falsch in der „Bildungsrepublik“Deutschland, wie ist die negative Entwicklung umzukehren? Hintergründe zur neuen Iglu-Studie:
Der zentrale Befund:
Für die Erhebung wurde eine repräsentative Stichprobe von 4000 Viertklässlern von 200 Grund- und Förderschulen untersucht. 47 Länder nahmen teil. Geprüft wurde, ob die Kinder verschiedene Texte verstehen. Der Anteil der Viertklässler, die beim Test durchgefallen sind, ist in Deutschland gegenüber 2001 um zwei Prozentpunkte auf 18,9 Prozent gestiegen. Das heißt, fast jeder Fünfte kann nach Verlassen der Grundschule nicht richtig lesen. Der Zwischenerfolg von 2011, als der Anteil auf 15,4 gesunken war, hat sich also dramatisch ins Gegenteil gekehrt. Auch der Anteil der Schüler, die gerne lesen und mehrfach in der Woche ihre Nasen in Bücher stecken, ist um fünf Prozentpunkte auf 70 Prozent gesunken.
Handicap soziale Herkunft:
Vergangenes Jahr war die Chance auf eine Gymnasialempfehlung von Kindern aus oberen Schichten 3,4 Mal so hoch wie von Kindern aus sozial schwächeren Elternhäusern. 15 Jahre zuvor war ihre Chance nur 2,6 Mal höher. Im Klartext: Die Schulen in Deutschland verhelfen den Kindern aus bildungsfernen Haushalten heute noch weniger zum Erfolg als 2001, und die Kluft ist größer als in den meisten anderen Ländern. Deutschland steht auf einer Stufe mit Bulgarien und der Slowakei.
Lichtblicke:
Nicht überall sind die Leistungen nach unten gegangen. Im Schnitt ist die Lesekompetenz heute so hoch wie 2001. Das liegt daran, dass der Anteil der besonders leistungsstarken Schülerinnen und Schüler von 8,6 auf 11,1 Prozent gewachsen ist. Insgesamt lesen die deutschen Viertklässler besser als in den meisten Vergleichsländern. Besonders gut stehen Schleswig-Holstein und Bayern da. Allerdings geht die Gesamtentwicklung nach unten: 2001 waren nur vier Staaten besser als Deutschland, 2016 waren es zwanzig.
Die Reaktionen:
Über eine „Schande“für das Land der Dichter und Denker klagte der Dortmunder Bildungsforscher Wilfried Bos. „Es ist nicht genug passiert“, zieht er ein düsteres Fazit der Bemühungen der Bundesländer, bei der Leseförderung Fortschritte zu machen. Für Lehrerverbands-Präsident Meidinger hat der gestiegene Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, in deren Elternhäusern kein Deutsch gesprochen werde, die Probleme verschärft. Schon andere Studien hätten gezeigt, dass sie beim Lesen massive Leistungsschwächen aufwiesen und abgehängt würden.