Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Pfeffersprayattacken nehmen zu
Immer wieder versprühen Jugendliche Reizgas in der Schule
BERLIN (dpa) - Nur zum Spaß ein Klassenzimmer mit Pfefferspray einnebeln – und dann mal sehen, was passiert. Immer häufiger hört der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, von Zwischenfällen mit Reizgas in Schulen: „Die Schüler denken, dass das ein Jux ist, und wissen nicht, wie gefährlich Pfefferspray wirklich ist.“
Noch vor fünf Jahren seien kaum Schüler auf diese Idee gekommen. Dieses Jahr hat Meidinger von mehr als 30 Fällen gehört, oft mit Verletzten. „Von Grundschulen bis Gymnasien sind alle Stufen betroffen.“Der Verbandschef rechnet mit einer hohen Dunkelziffer, da manche Schüler das Reizgas nicht vor den Augen von Lehrern versprühen. Teils besprühten sich Schüler auch gegenseitig bei Raufereien. Meidinger fordert nun alle Schulen auf, Pfeffersprays auf ihren Arealen zu verbieten.
Atmen Menschen das Gas mit Chili-, Paprika- oder Cayenne-Pfeffer-Extrakten ein, ringen sie oft um Atem und können im Extremfall sogar ersticken. Gelangt es in die Augen, kann es zu zeitweisem Erblinden kommen. Auf der Haut juckt das Gemisch stark.
Zu Hause fänden Jugendliche wohl immer häufiger Pfefferspray, sagt Meidinger. Nach den Vergewaltigungen und Übergriffen in der Silvesternacht von Köln vor zwei Jahren hatten mehr Leute Reizgas zur Verteidigung gekauft. Weil die Spraydosen im Drogeriemarkt oder Onlinehandel als Tierabwehrspray deklariert werden, gelten sie vor dem Gesetz nicht als Waffe. So kann sie jeder für rund fünf Euro kaufen.
Gegen Menschen darf das Gas nur bei Notwehr verwendet werden, und falls der Angriff nicht massiv genug ist, kann der Besprayte eine Strafanzeige wegen Körperverletzung stellen.
Die Drogeriemarktkette DM bietet Pfeffer-KO-Fog seit Frühjahr 2016 an und ist nach eigenen Angaben mit den Verkaufszahlen zufrieden. Beim Onlinehändler Amazon schafft es das Produkt auf die Bestsellerliste. Mehr als 80 Prozent der über 400 Bewertenden geben dem Spray vier oder fünf von fünf möglichen Sternen. „Hoffe, es nie benutzen zu müssen, gibt aber ein Gefühl der Sicherheit“, schreibt ein Kunde.
Die Polizei rät vom Gebrauch ab – auch in Notsituationen, wie ein Sprecher der Polizeigewerkschaft sagt: „Beim Einsatz ist die Gefahr groß, sich mit dem Sprühnebel selbst zu treffen.“So prügelten sich in diesem Sommer zwei Männer in Lüneburg – einer setzte sich mit Pfefferspray selbst außer Gefecht, weil der Wind ihm die scharfe Gaswolke direkt ins Gesicht blies. Ein Sprecher der Polizeigewerkschaft sagt: „Pfeffersprays geben nur ein falsches Gefühl der Sicherheit.“Opfer sollten lieber laut auf sich aufmerksam machen und Passanten bitten zu helfen. Auch rate die Polizei Opfern von Reizgasattacken, Anzeige zu erstatten.