Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Im Takt von Tuk-Tuk und Techno-Tönen
Die jungen Ungarn überraschen Touristen mit kreativer Küche und frischen Ideen
Sicheres Reiseland
Wir wollen nicht so tun, als gäbe es in unseren Köpfen nur Csardas-Seligkeit und kein Problem mit den Ungarn. Seit Ministerpräsident Viktor Orbán die Solidarität mit der Europäischen Union verweigert und, den Nationalstolz anfeuernd, Flüchtlinge ausgrenzt, zögern viele Westdeutsche, das Land zu besuchen. Andererseits, weiß unsere Reiseleiterin Noemi, ist der Übersee-Tourismus angestiegen. Bei Amerikanern und Chinesen gilt Ungarn als sicherstes Reiseland Europas. Sie umkreisen in Scharen die Budapester Hauptattraktionen wie das von innen vergoldete, neogotische Parlament oder die St. Stephans-Basilika, beides Zeugnisse des kaiserlich-königlichen Prunkgeschmacks um 1900.
Das ist der Glanz von gestern. Im postsozialistischen Budapest, wo Handelsketten von H&M bis Zara die Fußgängerzone in vertrautes Terrain verwandelt haben, sorgen junge Gastronomen und Geschäftsleute für einen Lebensstil, der Tradition mit neuen Konzepten verbindet. Sie sprechen fließend Englisch, nehmen gerne Euro statt der Landeswährung Forint und könnten auch in New York oder Berlin reüssieren. Die Tuk-Tuk-Kompanie entstand 2014 aus einer Studentenidee. Für 22 Euro pro Person und Stunde ist man dabei,
Extras wie Picknick oder eine Fahrt mit dem Schnellboot über die Donau sorgen für ein sattes Geschäft. Apropos satt: Die angesagten Restaurants von Budapest servieren keinen Paprikagulasch mit Zigeunermusik, sondern raffinierte Cross-Over-Küche. Im Borkonyha nahe der Basilika wird das köstliche Brot mit Sepia schwarz gefärbt und zu einer Hühnerbrühe mit hausgemachten Pasta und Kohlrabischeibchen serviert. Abends im Mak Bistro (Vigyazo Ferenc utca 4) kredenzt Janos Miszei sowohl den Vorspeisen-Büffel-Mozzarella als auch das Mohnparfait am süßen Ende mit Variationen von Aprikosen. Darüber liegt der vorwärtstreibende Herzschlag von Techno-Musik, und man kann sich schon mal einstimmen auf die aufregendste Location, die der BudapestBesucher kennenlernen kann: die Ruinen-Pubs (Romkoscma) im einstigen jüdischen Viertel.
In alten Häusern und Höfen nicht weit von Synagoge und Jüdischem Museum geht allnächtlich die Party ab. Mit Sperrmüll eingerichtet, mit Graffiti signiert und mit Fantasie dekoriert, erinnert der Club Szimpla Kert (Simpler Garten, Kazinczy utca 14) an besetzte Abrisshäuser im wilden Westen der 1970er-Jahre. Im großen Hof fließt das ungarische Bier in Strömen, hin und wieder gibt es Konzerte und Kleinkunst, und auf zwei schummrigen Etagen lässt es sich im Dunkeln munkeln. „The world tonight is mine“, heute Nacht gehört mir die Welt, schrieb ein schwärmender Gast an die Wand.
Erholung im warmen Wasser
Wer hier die Nacht durchtanzt, sollte sich am nächsten Tag mal erholen – zum Beispiel im 37 Grad warmen Wasser des Széchenyi-Heilbads, wo es an schönen Tagen recht voll werden kann. Das Baden in wohltuenden Gewässern ist in Ungarn eine gesellige Angelegenheit. Es gibt alte Herren, die sich im Wasser zum feuchtfröhlichen Schachspielen treffen. Das muss man mögen. Die palastartigen Rahmengebäude erinnern an die Zeit der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie – genau wie das von Investoren wiederbelebte Café Gerbeaud, in dessen goldenem Saal heutzutage allerdings nicht mehr die Herrschaften, sondern Touristengruppen von Gerbeauds berühmter Schichttorte naschen, einer sehr süßen Kreation mit Walnüssen, Aprikosenkonfitüre und Schokoladenglasur.
Auch die unheimlich dünne Kaiserin Elisabeth soll gern zu Gerbeaud gegangen sein. Ach, Sisi! Ist die Kaiserin der Herzen denn ganz verschwunden im Ungarn der neuen Geschäfte? Nein, wir finden ihr Bild auf Ziergefäßen in der nach Krautsalat riechenden Markthalle und in Geschäften mit „Hungarian Souvenirs“, wo es noch Puszta-Püppchen und im Akkord bestickte Blusen gibt. Auch steht Elisabeth als Pappkameradin im Treppenhaus des mit EU-Geldern prächtig ausgebauten, als Veranstaltungsort genutzten SchlossgartenBazars. 2300 Rosen hatte man einst für die Kaiserin in den Budapester Schlosspark gepflanzt, doch man spürt sie nimmer. Wer Sisi näherkommen will, der muss schon einen Ausflug machen ins 30 Kilometer entfernte Gödöllö.
Den Ort mit seinen Billigbauten kann man vergessen. Aber das spätbarocke Schloss, im 18. Jahrhundert erbaut von Maria Theresias ungarischem Kanzleiminister Antal Gras- salkovich, ist ein Theater der Nostalgie. Die Ungarn schenkten es Elisabeth und dem kaiserlichen Gatten Franz Joseph I. 1867 anlässlich der Krönung zu König und Königin von Ungarn. Sisi mochte diesen Rückzugsort in ihrem geliebten Ungarn, wo sie sich freier fühlen, nach Lust und Laune ausreiten und mit dem Grafen Andrassy plaudern konnte. Da war nichts als Freundschaft zwischen den beiden, wird in Gödöllö versichert. In weniger einfühlsamen Zeiten wurde das Schloss als Unterkunft für sowjetische Truppen und als Altersheim benutzt. Sisis Einrichtung ist verschwunden, nur noch in einem einzigen Salon blieb das Original-Parkett erhalten. In den 1990erJahren begann die Restaurierung des Anwesens. Mit passenden Antiquitäten und Seidentapeten in Sisis Lieblingsfarbe Violett wird im heutigen Museum die Illusion der Authentizität erschaffen.
Auch die aristokratische Reitkultur ist ein Thema der Ausstellung. Kaiserin Elisabeth liebte Pferde schon, als sie noch eine ungestüme bayerische Prinzessin war. Und sie galoppierte gern der höfischen Etikette davon. Bis zu acht Stunden am Tag soll die schöne Herrscherin hoch zu Ross verbracht haben – im Damensattel, mit dramatisch drapierten Röcken. Wie das ausgesehen hat, zeigt eine Amazone nicht weit von Gödöllö im Reitpark von Vilmos und Zoltan Lazar. Die Brüder sind mehrfache Weltmeister im Gespannfahren und haben ihr Gut mit 95 Lipizzanern und anderen Rassepferden in eine Touristenattraktion verwandelt. Bei einer rasanten Reitershow lassen harte Kerle im blauen Kittel des Csikos, des ungarischen Pferdehirten, den Sand der Arena aufwirbeln. Die Peitschen knallen, die Rufe hallen, es ist eine Wucht.
Deftiges Festessen
Die Besucher – 100 000 im Jahr – zücken ihre Handys mit der Videofunktion und sind begeistert und ohnehin beseelt vom Palinka, dem ungarischen Obstbrand. Sie scheuen auch nicht die nächste Herausforderung: das Festessen mit Gulaschsuppe, Schweinshaxe, Schnitzel, frittiertem Käse, Paprika und Hühnerteilen auf Kartoffelstampf, gefolgt von Apfelstrudel und Milchkuchen mit Aprikosenmarmelade. Eine leidenschaftliche Kapelle fiedelt dazu im PusztaStil – sogar La Paloma klingt da ungarisch. Joi!