Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Rechts vor links statt kreuz und quer
Viele Flüchtlinge kennen Verkehrsregeln aus ihrer Heimat nicht – Polizisten aus dem Kreis Fürth haben daher ein Projekt gestartet, das buchstäblich Schule machen soll
ZIRNDORF (dpa) - Markus Dieret blickt in fragende Gesichter. Der Polizist steht mit zwölf jungen Flüchtlingen an einer Kreuzung. „Wer hat denn in Deutschland Vorfahrt, wenn wie hier keine Verkehrszeichen vorhanden sind?“, will er wissen. Die meisten Jugendlichen zucken mit den Schultern. „Vielleicht alle auf einmal?“, tippt schließlich ein Junge. „Das wäre ja katastrophal“, meint Dieret und schmunzelt.
Dieret ist Verkehrserzieher bei der Polizeiinspektion Zirndorf bei Fürth. Mit seinem Kollegen Bernd Klaski bildet er Schülerlotsen aus und erklärt Grundschülern, wie sie sicher mit dem Rad zur Schule kommen. In ihrer Freizeit haben sie ein Projekt ins Leben gerufen: Sie bringen Flüchtlingen Verkehrsregeln bei und entwickelten für Schulen, an denen es spezielle Klassen für Flüchtlinge gibt, eine Übungsbox.
Von der Regel rechts vor links haben die zwölf Flüchtlinge im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren, mit denen Dieret heute unterwegs ist, noch nie etwas gehört. Sie stammen aus dem Irak, aus Indien, Syrien und Afrika. Hierzulande selbstverständliche Dinge wie Gehsteige oder Fußgängerüberquerungen kennen viele aus ihrer Heimat nicht – schon gar nicht verbindliche Verkehrsregeln. „Wir haben immer wieder Meldungen erhalten, dass gerade junge Flüchtlinge kreuz und quer mit gespendeten Fahrrädern durch die Straßen fahren – zum Glück ist aber nichts passiert“, sagt Dieret.
Mit finanzieller Unterstützung haben Dieret und Klaski Materialien für den Schulunterricht zusammengestellt und in eine Box gepackt. In der „Ü-Box“sind Übungsaufgaben und mehrsprachige Informationen zu Menschenrechten, Jugendschutz und das Polizeigesetz in Auszügen enthalten. „Zum Start des Projekts erhielten alle Schulen im Landkreis Fürth und in der Stadt Fürth, die Übergangsklassen für Flüchtlinge haben, jeweils eine ,Ü-Box’ von uns“, erklärt Klaski.
Die Materialien verwenden Lehrer im Unterricht. Wenn es die Zeit zulässt, kommen die zwei Polizisten aber auch selbst in die Klassen. An diesem Tag läuft Dieret mit Flüchtlingen einer Übergangsklasse der Mittelschule Zirndorf durch die Altstadt der mittelfränkischen Stadt. „Das ist eine Ampel“, sagt er und erklärt den Jugendlichen dann geduldig, was die Farben Rot, Grün und Gelb bedeuten. „Zügig gehen, wenn es grün ist, aber trotzdem auf die Autos schauen“, bläut er seinen Schülern ein, die mit dem Kopf nicken.
„Kommt man in Deutschland ins Gefängnis, wenn man einen Unfall baut?“, will ein Flüchtling wissen. „Es gibt eine Strafe, aber ins Gefängnis kommt man nur, wenn man etwas ganz Schlimmes gemacht hat“, erklärt Dieret. Klaski hat festgestellt, dass die Flüchtlinge von der Polizei oft ein falsches Bild haben. „Viele bekommen erst einmal ein Angstgefühl, wenn sie uns sehen, weil etliche in ihren Heimatländern Polizeigewalt erlebt haben.“Der Unterricht mit den Kindern und Jugendlichen sei deshalb mehr als nur Verkehrszeichen-Erklären, betont Klaski. „Es soll auch ein Vertrauensverhältnis zur Polizei aufgebaut werden.“