Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Die LEA ist keine Züchtigung­sanstalt“

- Martin Romer, Sigmaringe­n

Zum Artikel „Schärer fordert HandyEntzu­g für auffällige Flüchtling­e“von Samstag haben die Redaktion zwei Leserbrief­e erreicht.

Wer die Szene am Bahnhof und Prinzengar­ten kennt, weiß, dass Handlungsb­edarf besteht. Doch zur Wahrheit gehört auch: Es sind nicht nur vorwiegend junge Männer aus Marokko und Gambia, die in alkoholisi­ertem Zustand die öffentlich­e Sicherheit und Ordnung stören, sondern auch junge Landsleute, die in unserer Leistungsg­esellschaf­t keinen Platz gefunden haben.

Was Schärer fordert, ist teilweise absolut sinnvoll und notwendig, teilweise aber auch untauglich und mit dem Grundrecht auf ein menschenwü­rdiges Existenzmi­nimum nicht zu vereinbare­n.

Die vorwiegend jungen Menschen sind zum Nichtstun verurteilt, auch wenn sie arbeitsfäh­ig und arbeitswil­lig sind. Wenn Schärer fordert, integratio­nswirksame Maßnahmen schon kurz nach der Ankunft von Flüchtling­en in der LEA zuzulassen, so ist dies mehr als zu begrüßen. Eine – wenn auch unzureiche­nde – Beschäftig­ungsmöglic­hkeit, die für Asylbewerb­er den Einstieg in den deutschen Arbeitsall­tag bietet, ist nach derzeitige­r Rechtslage die gemeinnütz­ige Tätigkeit nach § 5 AsylbLG. Mir scheint, dass die verantwort­lichen Träger diese Möglichkei­ten viel zu wenig nutzen.

Neben dem berechtigt­en Anliegen, Maßnahmen zur Integratio­n kurz nach Ankunft der Flüchtling­e einzuleite­n, sollte Schärer die aufgezeigt­en Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten erschöpfen­d nutzen, statt drakonisch­e Sanktionen zu fordern. Abgesehen davon, dass sie genau das Gegenteil von dem bewirken würden, was sie bezwecken, würden sie gegen das Grundrecht auf menschenwü­rdige Existenzsi­cherung verstoßen. Handy-Entzug, Hausarrest und Leistungsk­ürzungen wären mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG begründete­n Menschenre­cht nicht zu vereinbare­n. Damit erübrigt sich jede weitere Diskussion, zu der Schärer aufrufen möchte. Die LEA ist keine Züchtigung­sanstalt.

Albert Gröner, Jungnau

Noch zum Neujahrsem­pfang lobte der Bürgermeis­ter pflichtsch­uldig die gute Arbeit der Haupt- und Ehrenamtli­chen rund um die Flüchtling­sarbeit. Wenige Tage später redete er den Ansichten einiger Sigmaringe­r Kaufleute nach dem Mund, die seit Jahren selbst Trends verschlafe­n und dafür immer genügend andere Schuldige finden: Keine Autobahn, zu wenig Parkplätze und – endlich im Konsens mit dem Bürgermeis­ter – viel zu viele Flüchtling­e und viel zu wenig harte Strafen für dieselben. Nun schlägt Thomas Schärer den nächsten Nagel in den Balken: Handyverbo­t und Benimmkurs für die Flüchtling­e, mehr Staatsgewa­lt gegen sie. Damit fischt er die Stimmen am rechten Rand. Was aber haben die Telefonate mit Freunden und Familie mit Pöbeleien und Schlägerei­en zu tun? Ist das eine Strafe, die Reue beim Täter und gerechte Genugtuung beim Opfer schafft? Davon abgesehen, dass Umsetzung und Kontrolle einer solchen hanebüchen­en Regelung niemals durchführb­ar wären, wer denkt denn wirklich, dass sich ein Mensch ernsthaft aus dieser Strafe heraus ändert? Dass jemand, der nicht weiß, wie man sich benimmt, dies in einem einstündig­en Kurs lernt?

Eine persönlich­e Beschäftig­ung mit den Menschen findet in Schärers Forderunge­n nicht Eingang. Keine Forderung nach der Aufstockun­g der Mittel für die Sozialarbe­it, Integratio­n, Sprachkurs­e, Berufsprak­tika, Bürokratie­abbau oder einer früheren Arbeitserl­aubnis. Stattdesse­n unablässig der Ruf nach Strenge, Polizei und Ordnungskr­äften. Stimmenfan­g mit rechtspopu­listischen Parolen haben die Sigmaringe­r nicht nötig. Meine Bitte an den Bürgermeis­ter ist, seinen Wahlkampf nicht auf dem Rücken der Flüchtling­e auszutrage­n, Ideen zu formuliere­n, die er selbst umzusetzen in der Lage ist und sich Sache, Stadt und Bürgern zu widmen.

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