Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Die LEA ist keine Züchtigungsanstalt“
Zum Artikel „Schärer fordert HandyEntzug für auffällige Flüchtlinge“von Samstag haben die Redaktion zwei Leserbriefe erreicht.
Wer die Szene am Bahnhof und Prinzengarten kennt, weiß, dass Handlungsbedarf besteht. Doch zur Wahrheit gehört auch: Es sind nicht nur vorwiegend junge Männer aus Marokko und Gambia, die in alkoholisiertem Zustand die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören, sondern auch junge Landsleute, die in unserer Leistungsgesellschaft keinen Platz gefunden haben.
Was Schärer fordert, ist teilweise absolut sinnvoll und notwendig, teilweise aber auch untauglich und mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht zu vereinbaren.
Die vorwiegend jungen Menschen sind zum Nichtstun verurteilt, auch wenn sie arbeitsfähig und arbeitswillig sind. Wenn Schärer fordert, integrationswirksame Maßnahmen schon kurz nach der Ankunft von Flüchtlingen in der LEA zuzulassen, so ist dies mehr als zu begrüßen. Eine – wenn auch unzureichende – Beschäftigungsmöglichkeit, die für Asylbewerber den Einstieg in den deutschen Arbeitsalltag bietet, ist nach derzeitiger Rechtslage die gemeinnützige Tätigkeit nach § 5 AsylbLG. Mir scheint, dass die verantwortlichen Träger diese Möglichkeiten viel zu wenig nutzen.
Neben dem berechtigten Anliegen, Maßnahmen zur Integration kurz nach Ankunft der Flüchtlinge einzuleiten, sollte Schärer die aufgezeigten Beschäftigungsmöglichkeiten erschöpfend nutzen, statt drakonische Sanktionen zu fordern. Abgesehen davon, dass sie genau das Gegenteil von dem bewirken würden, was sie bezwecken, würden sie gegen das Grundrecht auf menschenwürdige Existenzsicherung verstoßen. Handy-Entzug, Hausarrest und Leistungskürzungen wären mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG begründeten Menschenrecht nicht zu vereinbaren. Damit erübrigt sich jede weitere Diskussion, zu der Schärer aufrufen möchte. Die LEA ist keine Züchtigungsanstalt.
Albert Gröner, Jungnau
Noch zum Neujahrsempfang lobte der Bürgermeister pflichtschuldig die gute Arbeit der Haupt- und Ehrenamtlichen rund um die Flüchtlingsarbeit. Wenige Tage später redete er den Ansichten einiger Sigmaringer Kaufleute nach dem Mund, die seit Jahren selbst Trends verschlafen und dafür immer genügend andere Schuldige finden: Keine Autobahn, zu wenig Parkplätze und – endlich im Konsens mit dem Bürgermeister – viel zu viele Flüchtlinge und viel zu wenig harte Strafen für dieselben. Nun schlägt Thomas Schärer den nächsten Nagel in den Balken: Handyverbot und Benimmkurs für die Flüchtlinge, mehr Staatsgewalt gegen sie. Damit fischt er die Stimmen am rechten Rand. Was aber haben die Telefonate mit Freunden und Familie mit Pöbeleien und Schlägereien zu tun? Ist das eine Strafe, die Reue beim Täter und gerechte Genugtuung beim Opfer schafft? Davon abgesehen, dass Umsetzung und Kontrolle einer solchen hanebüchenen Regelung niemals durchführbar wären, wer denkt denn wirklich, dass sich ein Mensch ernsthaft aus dieser Strafe heraus ändert? Dass jemand, der nicht weiß, wie man sich benimmt, dies in einem einstündigen Kurs lernt?
Eine persönliche Beschäftigung mit den Menschen findet in Schärers Forderungen nicht Eingang. Keine Forderung nach der Aufstockung der Mittel für die Sozialarbeit, Integration, Sprachkurse, Berufspraktika, Bürokratieabbau oder einer früheren Arbeitserlaubnis. Stattdessen unablässig der Ruf nach Strenge, Polizei und Ordnungskräften. Stimmenfang mit rechtspopulistischen Parolen haben die Sigmaringer nicht nötig. Meine Bitte an den Bürgermeister ist, seinen Wahlkampf nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge auszutragen, Ideen zu formulieren, die er selbst umzusetzen in der Lage ist und sich Sache, Stadt und Bürgern zu widmen.