Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Lasst euch nicht spalten
Gelungene Geschichtsstunde: Lars Kraumes „Das schweigende Klassenzimmer“
Helden wollten sie eigentlich gar keine sein. Die 19 Schüler einer Klasse, die in der DDR des Jahres 1956 der Opfer des Ungarn-Aufstandes gedenken, haben einfach nur geschwiegen. Wie sie mit dieser einfachen Geste den Staatsapparat gegen sich aufbringen, davon erzählt Lars Kraume in seinem Film „Das schweigende Klassenzimmer“. Herausgekommen ist gelungenes Geschichtskino.
Wie in Lars Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“hängt auch diesen traurigen, grauen Nachkriegsdeutschen der Muff der schlimmen braunen Jahre wie Mottenpulver in den Kleidern und Gesichtsfalten. Und über die Lippen kommt das GestapoDeutsch: Anstatt „Volk“sagt man jetzt eben „die Werktätigen“, aus „Rasse“wurde die „Klasse“, und „die Partei“passt immer noch. Das Spiel gerade der älteren Darsteller ist glänzend in „Das schweigende Klassenzimmer“, auch wenn Ausstattung und Kostüme oft etwas zu deutlich als solche erkennbar sind.
Diesen erwachsenen Charakteren, die nur noch herrschen und verwalten wollen, diesen zynischen Zombies gegenüber stehen junge Idealisten. Aber auch deren Idealismus, der uns sympathisch ist und auf dem in diesem Film die Hoffnung ruht, durchzieht ein Hauch von Fanatismus, den man naiv nennen kann, aber auch stur.
Es war einmal in der DDR ... Es ist aber kein Märchen, das hier erzählt wird, sondern die wahre Geschichte einer Schulklasse, die 1956 vom Ungarn-Aufstand erfährt. Die Schüler formulieren einen kleinen, harmlosen Protest, eine Schweigeminute für die Opfer des Aufstands – und geraten dadurch in die Fänge des Staatssicherheitsapparats. Die frühe DDR fühlte sich, im verflixten siebten Jahr nach der Staatsgründung, drei Jahre nach dem 17. Juni, mit guten Gründen unsicher. Alles, was nach Konterrevolution aussah, wurde im Keim erstickt. So haben die Mühlen des Spätstalinismus unerbittlich gemahlen, und Kraume entfaltet diesen Prozess einer bürokratisch ablaufenden Untersuchung, die immer weitere Kreise zieht und höhere Ebenen erreicht, nüchtern und mit einer gewissen Lust an Sachlichkeit.
Besonders gefällt die Figur des von Florian Lukas gespielten Schuldirektors, der gegenüber den unerbittlichen Funktionären (Jördis Triebel und Burghart Klaußner) die menschliche Seite und das Positive der DDR, die soziale Chancengleichheit und Aufstiegsmöglichkeiten für Arbeiter, verkörpert und verteidigt.
„Das schweigende Klassenzimmer“ist gutes Geschichtskino, Mainstream im besten Sinne des Wortes, mit plakativen Figuren, zudem brav bebildert. Auf jede erkennbare Ästhetik, jede stilistische Ambition wurde verzichtet – aber zu höheren Zwecken.
Thema ist die Zivilcourage einer Klasse, deren Schüler sich nicht vom Regime vereinnahmen lassen. Hier liegt auch die eine aktuelle Botschaft: Lasst euch nicht spalten, dann ist Widerstand möglich.
Worum es geht, das bringt im Film der von Michael Gwisdek verkörperte ehemalige NS-Widerständler, der auch in der DDR wieder zum Außenseiter wird, auf den Punkt: „Das Individuum soll sich fügen. Ihr seid jetzt Staatsfeinde, weil ihr frei gedacht habt und daraus Taten folgten.“Den Schülern hat ihr Mut übrigens nur kurz geschadet. Sie wurden zwar alle der Schule verwiesen. Doch das Ergebnis dieses schmerzhaften Lernprozesses war, dass die meisten von ihnen in den Westen gingen und dort Abitur machten.
Das schweigende Klassenzimmer. Regie: Lars Kraume. Mit Lena Klenke, Jonas Dassler, Ronald Zehrfeld. Deutschland 2017. 111 Minuten. FSK ab 12. Dietrich Garstkas Roman „Das schweigende Klassenzimmer“ist erstmals im Jahr 2006 erschienen. Zum Filmstart hat der UllsteinVerlag ihn erneut als Taschenbuch aufgelegt. 253 Seiten, 12 Euro.