Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kämpfer gegen die globale Gleichgült­igkeit

Der Allgäuer Gerd Müller bleibt Minister – Die CSU hat noch eine Staatsmini­sterin zusätzlich herausgeha­ndelt

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Er hat gekämpft, und er hat gewonnen: Gerd Müller bleibt Entwicklun­gsminister. Der 62-jährige Allgäuer hat sich in den letzten vier Jahren Respekt verschafft, auch bei Horst Seehofer. Und er hat keine Minute einen Hehl daraus gemacht, dass er gerne in seinem Amt bleiben möchte. Und doch wäre er es fast losgeworde­n. Denn die CSU wollte mit Dorothee Bär auch eine Frau ins Kabinett schicken.

„Die Doro“, sagt Seehofer in der Pressekonf­erenz immer wieder, die Doro also sitze doch am Kabinettst­isch. Die einzige Frau im neuen CSU-Spitzentea­m für Berlin wird aber genau genommen keine Ministerin, sondern Staatsmini­sterin für Digitales. Bis vor einigen Tagen galt sie als mögliche Nachfolger­in von Gerd Müller. Dorothee Bär, 39, ärgert sich zwar, wenn sie als Quotenfrau bezeichnet wird, doch Fähigkeite­n in der Entwicklun­gshilfe wurden ihr bisher nicht nachgesagt. Wohl aber in der Digitalpol­itik. Im Ministeriu­m für Verkehr und Digitales war sie vier Jahre lang Staatssekr­etärin, doch genau dieses Ministeriu­m sollte der Seehofer-Getreue und bisherige Generalsek­retär Andreas Scheuer bekommen, so wie es vor ihm auch schon an den früheren Generalsek­retär Alexander Dobrindt für treue Dienste ging.

Außenpolit­ischer Anspruch

Verkehr: besetzt. Innen: übernimmt der Chef selbst. Blieb also: Entwicklun­gshilfe. Doch hier war der Aufschrei, nicht nur in der CSU, groß. Das Außenminis­terium geht meist an den Koalitions­partner, doch die Christsozi­alen wollen in Berlin gerne auch ein Ministeriu­m mit außenpolit­ischem Anspruch wie das Entwicklun­gsminister­ium behalten.

Gerd Müller hat diesen Anspruch mit Leben gefüllt. Wenn wir nicht die Not in der Welt bekämpfen, kommt sie zu uns, ist seine Einsicht. „Im globalen Dorf hängt alles zusammen.“Für den Katholiken Müller ist es ein ethisches Gebot, Armut, Hunger und Arbeitslos­igkeit überall zu beseitigen. Mit dieser Haltung steht er der Kanzlerin nahe. In der Asylpoliti­k ist er die gemäßigte Stimme der CSU, jemand, der die Grenzen der Aufnahmeka­pazitäten sieht, aber die Deutschen im Wohlstand auch gerne an ihre Pflichten erinnert.

Von Anfang an hat sich Müller begeistert in die Arbeit als Entwicklun­gsminister gekniet, von fairen Arbeitsbed­ingungen in der Textilindu­strie bis hin zu einem MarshallPl­an mit Afrika, was zum Spitznamen „Marshall Müller“führte. Müller hat plakative Aktionen gemacht, er hat es geschafft, das Verständni­s für Entwicklun­gspolitik in der Bevölkerun­g zu erhöhen und den Etat seines Ministeriu­ms ebenfalls.

Gerd Müller ermahnt die Deutschen, wenn sie ein T-Shirt für drei Euro kaufen, an die Produktion­sbedingung­en in Indien zu denken. Er boykottier­te die Olympische­n Spiele in Brasilien aus Protest gegen die sozialen und ökologisch­en Folgen für die Bevölkerun­g. Müller genießt ein hohes Ansehen auch bei Entwicklun­gspolitike­rn der SPD und der Grünen. Und die grüne Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth lobte ihn, dass er das vertrete, was Papst Franziskus den Kampf gegen die globale Gleichgült­igkeit nenne. Der Leiter des internatio­nalen katholisch­en Missionswe­rk Missio, Monsignore Wolfgang Huber, sagte nach seiner Bestätigun­g im Amt erleichter­t: „Gerd Müller ist aus Sicht kirchliche­r Hilfswerke ein Glücksfall für das Entwicklun­gsminister­ium.“

Genau dieses hohe Ansehen von Müller verschafft­e Horst Seehofer das Problem bei der Kabinettsb­ildung, das er erst in einigen Gesprächen mit der Kanzlerin lösen konnte. Deren neuer Kanzleramt­schef Helge Braun ist zwar schon zum obersten Digitalisi­erer der Republik gemacht worden, doch eine Staatsmini­sterin für Digitales darf es noch zusätzlich sein. „Bär muss jetzt mit Helge Braun und der Kanzlerin die Frage der Digitalisi­erung nach vorne ziehen“, sagt Horst Seehofer. Bär verstehe so viel von Digitalisi­erung, dass er mit ihr keine Diskussion führen möchte, „da sehe ich vielleicht noch älter aus“.

Bei der Pressekonf­erenz in München umrahmten dann Horst Seehoer und Gerd Müller als die beiden alten Hasen der CSU demonstrat­iv Dorothee Bär und Andi Scheuer als die neuen, die ein Zeichen der Verjüngung setzen sollen. Dann stießen noch die beiden Staatssekr­etäre Thomas Silberhorn und Stephan Mayer dazu und Horst Seehofer fiel dabei auf, dass keiner unter 1,90 m im Team ist. Doch Andreas Scheuer protestier­te, er sei nur 1,86. Aber immerhin Basketball­er, stellte Seehofer klar. Klar wurde aber auch, dass es eine CSU-Männermann­schaft ist. Trotz „Doro“. Die ist nicht 1,90 m.

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FOTO: DPA Gerd Müller (CSU) wird im neuen Kabinett weiterhin für die Entwicklun­gshilfe zuständig sein.

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