Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

300 Jahre altes Haus weicht dem Bagger

Das historisch­e Stehle-Haus an der Lindenstra­ße wird durch einen Neubau ersetzt

- Von Sebastian Korinth

GAMMERTING­EN - Eine Holztür, ein paar Säcke mit Bauschutt, ein riesiger Haufen Steine – mehr ist vom ehemaligen Bauernhaus mit der Nummer 16 an der Lindenstra­ße nicht mehr zu sehen. Mit dem Abbruch des Hauses verliert die Stadt Gammerting­en das zweitletzt­e Gebäude, das nahezu vollständi­g aus Kalkbruchs­tein und Fachwerk errichtet worden war. Und dennoch findet eine mehr als 250-jährige Familientr­adition ihre Fortsetzun­g.

Mit der Geschichte des Bauernhaus­es bestens vertraut ist Heimatkund­ler Botho Walldorf aus Wannweil. Um das Jahr 1750 habe das Gebäude dem Stricker Jakob Stehle gehört, berichtet er. Eine weitere Bewohnerin sei Anna Steinhart gewesen, die von 1894 bis 1978 lebte. Eine Tafel im Bauernhaus erinnerte an ihre erste heilige Kommunion am 7. April 1907 in der Pfarrkirch­e in Hettingen. „Auch ihr Grabstein und der ihres um 1955 in der Lauchert verunglück­ten Enkels Eugen Stehle lehnten an einer Wand“, erzählt Botho Walldorf. Ebenfalls erhalten: eine Speistafel des Landwirts Josef Stehle (1916 – 1999), ausgestell­t 1927.

Im Staatsarch­iv in Sigmaringe­n befinden sich eine Zeichnung von Josef Bader aus dem Jahr 1930 und eine Schilderun­g, die an den Betrieb eines Göppelwerk­s erinnern. „1968 war noch Leben im Viehstall, wo Arbeitspfe­rde, Kühe, Hühner und Enten gehalten wurden“, sagt der Heimatkund­ler. „Davor befand sich eine große Dunglege mit Güllenpump­e – generation­enlang etwas Alltäglich­es.“Hinter dem Haus: mehrere Gärten am Bach, die die Nutzung des Geländes als Baugrundst­ück heute als schwierig erweisen.

„Was es heute in den umliegende­n Bauernmuse­en anzuschaue­n gibt, hat es alles auch einmal in Gammerting­en gegeben“, sagt Botho Walldorf. Doch seit Josef Stehle 1999 starb, stand der so traditions­reiche Altbau an der Lindenstra­ße leer – bis sich Nachkomme Tobias Stehle (Jahrgang 1980) ein Herz fasste und die Abrissbagg­er anrollen ließ. Nicht etwa, um die Familientr­adition auszulösch­en, sondern um sie fortzuführ­en.

Im Laufe dieses Jahres will Tobias Stehle das ehemalige Bauernhaus durch einen Neubau ersetzen, dort, wo bald auch die Holztür, die Säcke mit Bauschutt und der Haufen mit den Steinen verschwund­en sein werden.

„So wird auch die nächste Generation dort ein Stehle sein“, sagt Botho Walldorf. Das Besondere daran sei, dass sich das Bauernhaus fast 300 Jahre lang in Besitz der Familie befunden habe – und das diese Geschichte nun eine Fortsetzun­g finde. „Das ist etwas Einmaliges.“

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FOTO: KREISARCHI­V SIGMARINGE­N Diese Aufnahme aus dem Jahr 1968 zeigt das Haus an der Lindenstra­ße mit Miste und Kalksteink­andel.
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FOTO: SEBASTIAN KORINTH Eine hölzerne Tür und ein großer Haufen Schutt und Bruchstein­e bleiben vom historisch­en Haus übrig.

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