Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Das ist eine neue und erschreckende Dimension“
BERLIN - Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, äußert im Gespräch mit Tobias Schmidt die Sorge, dass eine neue Generation von Antisemiten in Deutschland heranwächst. Er warnt davor, vor dem Problem zu kapitulieren.
Die Bedrohung eines jüdischen Mädchens an einer Berliner Grundschule sorgt für Bestürzung. Sehen Sie einen wachsenden Antisemitismus schon unter Jugendlichen?
Es gab vergangenes Jahr in Berlin schon ähnliche Vorfälle. Jetzt ist eine Siebenjährige zum Opfer geworden! Das ist eine neue und erschreckende Dimension. Die Fälle häufen sich in letzter Zeit, vor allem in Ballungsgebieten mit muslimischen Milieus. Wir haben auch aus dem Ruhrgebiet solche Berichte.
Woher kommt für Sie der Hass auf Juden unter Kindern mitten in Deutschland?
Kein Kind wird als Antisemit geboren. Die Prägung kommt aus dem Elternhaus und aus Moscheen, in die Eltern ihre Kinder mitnehmen. Was in manchen muslimischen Gotteshäusern gepredigt wird, trägt zur Spaltung der Gesellschaft und zu antijüdischen Ressentiments bei. Die muslimischen Verbände sind gefordert, endlich in den eigenen Reihen dafür zu sorgen, dass Imame nicht mehr predigen dürfen, wenn sie zu Hass aufrufen. Hier gibt es ein erhebliches Defizit und ich habe keine Erklärung für die diesbezügliche Passivität der Verbände.
Wie kann man jungen Menschen Toleranz statt religiöse Ressentiments mit auf den Lebensweg geben und wer ist in dieser Hinsicht gefordert?
Neben den Elternhäusern und den muslimischen Verbänden sind auch die Lehrer gefragt. Sie sind mit religiösem Mobbing und Antisemitismus teils überfordert, weil wir das bisher so nicht kannten. In der Aus- und Weiterbildung müssen Lehrer schnell in die Lage versetzt werden, mit diesen gravierenden Problemen umzugehen. Das muss gemeinsam mit speziell ausgebildeten Pädagogen und Psychologen erarbeitet werden. An Brennpunktschulen muss von vornherein agiert werden, um Fälle wie jetzt wieder in Berlin zu verhindern.
Wird das Ihrer Ansicht nach gelingen?
Ich habe Sorge, dass eine neue Generation von Antisemiten in Deutschland heranwächst. Ein Blick nach Frankreich bekräftigt mich darin. Dennoch dürfen wir nicht kapitulieren.