Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Rebellische Tochter contra nörgelnde Mutter
„Lady Bird“ist ein orgineller Film übers Erwachsenwerden von Regie-Debütantin Greta Gerwig
Ich hasse Kalifornien. Ich will an die Ostküste. Ich will dorthin, wo Kultur ist ...“– „Warum ist meine Tochter bloß so ein Snob?“Mutter und Tochter streiten sich mal wieder. Im Auto. Die Tochter will auf ein Elitecollege, obwohl ihre Schulleistungen eher mäßig sind. Und in jedem Fall will sie raus aus der muffigen Atmosphäre der kalifornischen Kleinstadt, in der sie aufgewachsen ist. Die Mutter findet sie undankbar, sagt ihr nicht weniger übertrieben eine kriminelle Karriere voraus. Und als die Tochter das Genörgel ihrer Mutter irgendwann nicht mehr aushält, reißt sie die Beifahrertür auf und rollt sich heraus – bei laufender Fahrt.
Das ist nur eine besonders spektakuläre von einer ganzen Handvoll Szenen, die drei Dinge unmissverständlich klar machen: Mutter und Tochter streiten sich fortwährend. Dabei sind sie sich ähnlicher, als beiden lieb ist. Und die Tochter, die Hauptfigur dieses Films, ist eine Kämpferin. Sie weiß, was sie will. Zu allem entschlossen, ist sie nicht bereit, auch nur ein klein wenig nachzugeben. Sie will ihren Kopf durchsetzen. Sie heißt Christine, aber sie nennt sich Lady Bird. Und sie hat den Mut, vom Leben und von der Welt einfach alles zu wollen, auch wenn es schwer erreichbar scheint. Diese 16Jährige ist stolz, sie hat kein Problem damit, anders zu sein als andere. Aber sie ist eben auch eine Heranwachsende, und mit allen Problemen anderer Heranwachsender belastet: „Wann ist das normale Alter für Sex? Wie sollte ‚das erste Mal‘ beschaffen sein?“So ist dies zuallererst auch ein ganz normaler, unaufgeregter Coming-of-Age-Film, ein Film über das Erwachsenwerden.
Vielleicht ist „Lady Bird“der bekannten Independent-Darstellerin Greta Gerwig ein bisschen zu nett, zu skurril, zu gewollt originell. Aber das macht die Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen wett: Saoirse Ronan als Tochter und Laurie Metcalf in der Rolle der Mutter spielen einfach hervorragend.
Gerwigs Arbeit als Schauspielerin steht vor allem für „Mumblecore“, jene Filmbewegung der US-Ostküste, die aus dem Unperfekten und dem Scheitern Kult macht – ein Gegenstück zu Hollywood, zu den glatten Erfolgstypen und der immer gleichen kritiklosen Feier des amerikanischen Traums.
Film trägt autobiografische Züge
Solch ein Gegenstück ist auch „Lady Bird“. Aber die Hauptfigur ist nicht so lächerlich, nicht so durchschnittlich, nicht so ins Verlieren verliebt, wie etwa die Charaktere von Noah Baumbach, Gerwigs 20 Jahre älterem Lebensgefährten, in dessen Filmen (zum Beispiel „Frances Ha“) sie oft die Hauptrolle spielt.
Tatsächlich hat dieser fulminante, facettenreiche Film auch eine ganze Menge autobiografische Seiten: Auch Greta Gerwig wuchs als Tochter einer Krankenschwester in Kalifornien auf, besuchte eine katholische Highschool und spielte dort Theater.
Man sollte „Lady Bird“unbedingt ansehen. Denn er ist gut gemacht und witzig. Und die Hauptfigur ist alles andere als auf den Mund gefallen. Zugleich ist der Film auch eine kluge Reflexion über das heimliche Hauptthema aller Coming-of-Age-Streifen. Nämlich die Frage: Was ist der Sinn des Lebens?
Dabei geht es nicht nur um den Kampf gegen Tabus, da Lady Bird eine katholische Highschool besucht. Sondern auch, weil hier dem ewigen Thema rebellische Tochter gegen nörgelnde Mutter sehr originelle Seiten abgewonnen werden. So ist Greta Gerwigs Filmdebüt einfach ein guter Film.