Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Weingartener sticht viermal zu
Gericht verurteilt Weingartener wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung
WEINGARTEN - Überraschend ist am späten Dienstagnachmittag beim zweiten Verhandlungstag von der Schwurgerichtskammer des Landgerichtes das Urteil gegen einen 54Jährigen gefällt worden. Der alkoholkranke Mann hatte im vergangenen Oktober nachts einen Bekannten mit einem Hackmesser schwer verletzt (die SZ berichtete). Das Gericht sah es als erwiesen an, dass bei der Attacke an einem bedingten Tötungsvorsatz kein Zweifel bestehe, und verurteilte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten. Damit blieb das Gericht deutlich unter dem vom Staatsanwalt geforderten Strafmaß von fünf Jahren und neun Monaten. Der Verteidiger hatte auf „unter vier Jahre“plädiert. Eine Tötungsabsicht könne er nicht erkennen, außerdem habe sein Mandant kein Motiv gehabt.
Das Gericht kam der Urteilsbegründung zufolge jedoch zu dem Schluss, dass sich die Tatnacht so gestaltet haben muss, wie von der Staatsanwaltschaft bei der Anklage erhoben und wie auch vom 24-jährigen Geschädigten sowohl bei der polizeilichen Vernehmung wie letzte Woche im Zeugenstand beschrieben: Im Laufe eines mehr als feuchtfröhlichen Abends kam es im Zimmer des Angeklagten in einer städtischen Unterkunft der Stadt zu einem handgreiflichen Streit, in dessen Folge dem späteren Täter zunächst das Handgelenk gebrochen wurde. Woran sich die Gemüter der insgesamt drei betrunkenen Männer in der Tatnacht entzündet hatten, das ließ sich nicht mehr nachvollziehen.
Sicher aber ist nach Auswertung der kriminaltechnischen Spuren, dass sich der 54-Jährige nicht etwa bereits blutend in Notwehr (so die vage Erinnerung des Angeklagten und die Auslegung seines Verteidigers) mit einem Hackmesser in der Küche munitionierte, sondern er vielmehr die beiden Männer mit der Ansage bewusst getäuscht habe, er wolle lediglich zur Toilette. Zurück aber kam der 54-Jährige – so sieht es das Gericht – mit jenem 25 Zentimeter langen Hackmesser in der einen und einem Staubsaugerrohr in der anderen Hand. Um seine beiden überraschten Bekannten unvermittelt anzugreifen und einen der beiden schwer zu verletzen. Die beim 24-jährigen Opfer noch in derselben Nacht im Krankenhaus behandelten Wunden am Hals, an der Brust, im Achselbereich und an der Nase seien die Folge von „mindestens vier Hieben“, wie ein hinzugezogener Sachverständiger im Rahmen der Beweisaufnahme aussagte. Dabei hätte der Täter „im dynamischen Geschehen“jedoch leicht auch gravierendere Bereiche wie Halsschlagader oder Luftröhre treffen und eine „bedrohliche, medizinisch schwer beherrschbare Situation“verursachen können.
Im Laufe des zweiten Verhandlungstages hatte eine Forensikerin in ihrem Gutachten noch ein relativ weiches Bild vom Täter gezeichnet. Der 54-Jährige sei wenig differenziert, einfach strukturiert und schlecht in der Lage, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Sie habe ein „hohes Bedürfnis nach Harmonie und sozialer Einbindung“bei dem Mann erkennen können. Von „einer freundlichen Grundhaltung“des seit 30 Jahren alkoholkranken Angeklagten sprach die Psychiaterin, bei dem sie zum Tatzeitpunkt eine „massive impulsive Enthemmung“vermute – genährt durch einen „gesunden Stolz und Narzissmus“. Immerhin habe der erheblich angetrunkene 54-Jährige schlafen wollen und seine beiden Gäste kurz vor drei Uhr nachts durch ein scharfes „Verpisst euch!“aufgefordert, seine Wohnung zu verlassen. Ihrer Einschätzung nach habe der Angeklagte aus Angst das Hackmesser aus der Küche geholt, um es „als Drohmittel einzusetzen“und um seine Rechte im eigenen Haus durchzusetzen. „Aber um zu meucheln? Nein!“- so die Sachverständige.
Dem bloßen „Störenfriede vertreiben wollen, wie es die Sachverständige sieht, kann sich die Kammer nicht anschließen“, erklärte der Vorsitzende Richter Maier in seiner Urteilsbegründung. Wiederholt schon habe der aktenkundige Täter aufgestaute Aggressionen abbauen müssen: Im Sommer 2006, als er einen Verwandten mit einer Wodkaflasche auf den Kopf geschlagen und diesem dadurch einen „Schädelbruch am Hinterkopf“zugefügt hatte. Oder Ende 2007 in Weingarten, als er eine fremde Wohnung verwüstet hatte – „auch das die Folge eines alkoholbedingten Zornesausbruches“, wie Richter Maier sagte.
Zwar wertete die Schwurgerichtskammer die krankhafte Alkoholsucht des Täters als strafmildernd, an der bedingten Tötungsabsicht hatte das Gericht jedoch keinen Zweifel. Der Verurteilte muss die Kosten des Verfahrens wie auch die Auslagen des 24-jährigen Opfers tragen, der als Nebenkläger aufgetreten war. Eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung kommt nicht infrage. Zumal die Gutachterin zuvor festgestellt hatte, dass die Erfolgsaussichten einer Therapie minimal seien. „Er sieht zwar grundsätzlich die Notwendigkeit, tatsächlich aber will er nicht“, sagte die Sachverständige. Gegen das Urteil kann binnen einer Woche Revision eingelegt werden.