Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
In Tschechien wird die Erinnerung an totalitäre Zeiten wach
Für Tschechien ist es eine Erinnerung an totalitäre Zeiten. Vor 70 Jahren haben sich die Kommunisten an die Macht geputscht. Vor
50 Jahren walzten Panzer der Übermacht Sowjetunion den „Prager Frühling“nieder. Jetzt kehren, knapp
30 Jahre nach der demokratischen Wende, die Kommunisten erstmals zurück an die Staatsspitze: Die neue Minderheitsregierung unter Premier Andrej Babiš, die am Mittwoch von Präsident Miloš Zemen vereidigt wurde, lässt sich von der immer noch moskautreuen KSCM im neuen Parlament stützen. Dass ausgerechnet ein ehemaliger Konzernchef die Kommunisten wieder salonfähig macht, gilt schon jetzt als Treppenwitz.
Kaum eine tschechische Regierung hat sich derart geschichtsvergessen gezeigt. Zudem erfolgte die Vereidigung am Gedenktag für die Opfer der stalinistischen Ära. Vertreter der bürgerlichen Opposition sprechen von „Verhöhnung der Verfolgten und Ermordeten“.
Der Machterhalt steht im Fokus
Dem Milliardär und Geschäftsmann Babiš macht das wenig aus, ihn interessiert der Machterhalt. Die Wahlen im Oktober hatte seine rechtspopulistische Bewegung Ano mit rund 30 Prozent der Stimmen gewonnen, doch es folgte eine achtmonatige Hängepartie mit gescheiterten Koalitionsverhandlungen.
Die nun gebildete Minderheitsregierung besteht aus Ano und der sozialdemokratischen CSSD. Beide verfügen über lediglich 93 der 200 Sitze im Prager Parlament. Die Kommunisten entscheiden am Wochenende über die stille Duldung, die Zustimmung gilt als sicher. Somit dürfte auch die Vertrauensabstimmung am 11. Juli im Parlament nur Formsache sein – zumal keine Partei Neuwahlen möchte.
Präsident Zeman hielt an dem 63jährigen Babiš fest, obwohl gegen ihn ein Strafverfahren wegen Missbrauchs von zwei Millionen Euro EUFördergeld läuft. Der Fall liegt zwölf Jahre zurück, als Babiš noch Chef des Mischkonzerns Agrofert war. Zudem wird er beschuldigt, Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes gewesen zu sein, wie die slowakische Aufklärungsbehörde UPN behauptet. Babiš, gebürtiger Slowake, klagte daraufhin, blitzte aber beim Höchstgericht in Bratislava ab.
Aus diesen Gründen wollte zunächst keine der traditionellen Parteien mit Babiš koalieren. Am lautesten hatte die ehemalige Regierungspartei CSSD ihre Abneigung bekundet, um letztlich umzufallen. Die Verantwortung dafür hatte der neue Parteichef Jan Hamacek zuvor auf die Basis abgeschoben: 58 Prozent der Parteimitglieder stimmten Mitte Juni für die Koalition mit Ano. Zu einer Kleinpartei geschrumpft, hoffen die Sozialdemokraten, sich in der Regierungsarbeit neu zu profilieren.
Die KSCM hat sich die stille Duldung teuer erkaufen lassen: Ausgerechnet die Kommunisten, die einstmals die Kirchen enteignet haben, fordern jetzt für die schrittweise Rückgabe des Vermögens eine Restitutionssteuer. Auch verlangt die KSCM, dass Tschechien das Engagement bei Nato-Auslandseinsätzen deutlich zurückfährt.
Eine Regierung von Gnaden der Kommunisten, dazu Präsident Zeman als erklärter Gegner der EU und erklärter Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin – nie seit 1989 war der Einfluss Russlands in die tschechische Politik stärker als jetzt.