Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Runter von den Bäumen!
Fast erinnert sie an ihren Vorgänger Gerhard Schröder, der immer dann zur Hochform auflief, wenn er mit dem Rücken zur Wand kämpfte. Angela Merkel, sonst nicht für packende Reden bekannt, kämpfte im Bundestag mit Leidenschaft für ihr Thema.
Und sie machte unmissverständlich klar, was geht und was nicht geht. Dass sie am Freitagabend nicht mit einer Neuordnung des europäischen Asylsystems nach Hause kommen wird, dass sie aber Schritt für Schritt an einer europäischen Lösung arbeiten will.
Fast gelassen reagiert sie auf die wohl größte Herausforderung ihrer Kanzlerschaft: Das Ultimatum aus der Schwesterpartei. In der gab es die Überlegung, die Asylfrage zum Hebel zu nehmen, Merkel aus dem Amt zu drängen. In der letzten Woche zeigte sich, dass viele CDU-Abgeordnete zwar die Linie Seehofers unterstützen. Dass sie aber so entsetzt sind über den rüden Stil der drei Bayern Söder, Seehofer und Dobrindt, dass sie jetzt widerstrebend hinter der Kanzlerin die Reihen schließen. Die hat, auch das ist in Berlin bekannt, notfalls die Nervenstärke, auch ohne CSU eine neue Regierung zu bilden.
Die CSU kann also nicht mehr auf einen großen Erfolg hoffen, wenn sie zum Sturm auf Kanzlerin Merkel aufruft. Dass ihr Kurs der letzten Tage auch beim Wähler nicht gut ankommt, zeigen die Umfragen. Deshalb stehen die Zeichen eher auf Versöhnung denn auf den Bruch der Fraktionsgemeinschaft. Es sei denn, der CSU-Spitze gelingt es nicht, die „Merkel muss weg“-Vertreter wieder von den Bäumen zu holen.
Das Schlimme ist: Es wird immer klarer, dass Innenminister Seehofer viele seiner Forderungen gut durchsetzen und sie als Erfolg hätte verkaufen können, wenn er nicht gleichzeitig das Dauerfeuer auf Merkel eröffnet hätte. Bestenfalls hat er, wie er selbst meint, damit die EU „wachgeküsst“, und Merkel wird in Brüssel mehr erreichen können als vor Wochen erwartet wurde. Schlechtestenfalls sind alle keinen Schritt weiter. Merkel nicht, die CSU nicht, und Europa erst recht nicht.