Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die kämpferische Kanzlerin
Ungewöhnlich emotional verteidigt Merkel ihren Asylplan – CSU hält weiterhin dagegen
BERLIN - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kämpft in ihrer schwersten Regierungskrise seit ihrer ersten Wahl vor 13 Jahren ums politische Überleben. Der Asylstreit innerhalb der Union könnte sie das Amt kosten. Mit Spannung wurde deshalb erwartet, welchen Kurs sie in ihrer Regierungserklärung am Donnerstag einschlagen würde. Würde sie vor Innenminister Horst Seehofer (CSU) einknicken? Versöhnliche Töne anschlagen? Oder die CSU in ihre Schranken weisen?
Letztlich entschied sich Merkel – wie so oft – für einen Kompromiss. In ihrer Rede im Vorfeld des EU-Gipfels gab sie sich ungewöhnlich kämpferisch und verteidigte ihren Ansatz einer europäischen Lösung in der Asylpolitik. Sogar die sonst so stoisch ignorierten Zwischenrufe der AfD, konterte sie mit: „Mein Gott. Echt jetzt“in Richtung der Partei. Merkel warnte in einem fast restlos besetzten Plenum vor nationalen Alleingängen, die das europäische Friedensprojekt gefährden könnten.
Gleichzeitig würdigte sie aber auch die Arbeit des Innenministers Seehofer: „Nachdem er sich die Situation angeschaut hat, hat er richtigerweise die Punkte zusammengestellt, an denen weiterer Handlungsbedarf besteht.“Von dieser Annäherung bekam Horst Seehofer allerdings nichts mit, zumindest nicht persönlich. Er blieb der Debatte im Bundestag fern.
Doch auch er hatte am Mittwochabend in der ARD-Sendung „Maischberger“bereits gemäßigtere Töne angeschlagen als in den Tagen zuvor. Er sagte:
„Ich kenne bei mir in der Partei niemand, der die Regierung gefährden will in Berlin, der die Fraktionsgemeinschaft auflösen möchte mit der CDU oder gar die Kanzlerin stürzen möchte.“Er sicherte weiter zu, dass sie den Streit „unter Aufrechterhaltung der beidseitigen Glaubwürdigkeit zu lösen versuchen“. Anfang der Woche hatte Seehofer in einem Interview noch gesagt: „Wenn man im Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre, dann sollte man die Koalition beenden."
Dobrindt klatscht verhalten
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles bekundete ausdrücklich die Bereitschaft der Sozialdemokraten, Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Suche nach europäischen Lösungen zu unterstützen. Dies gelte auch für Bundesinnenminister Horst Seehofer und „neue Fragen“in der Flüchtlingspolitik, „so wir sie denn kennen“. Um mögliche Tendenzen zum Ausgang des Streits zu erahnen, richteten sich in Abwesenheit Seehofers deshalb die Augen von Journalisten und Abgeordneten auf den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt.
Dieser zeigte sich während der Rede der Kanzlerin wenig interessiert an ihren Worten. Während die SPD für Merkels Verteidigung ihrer Asylpolitik regelmäßigen lauten Beifall spendete, verweigerte Dobrindt ihr jeglichen Applaus – klatscht lediglich bei ihrem Abgang langsam ein paar Mal in die Hände. Doch bei seiner eigenen Rede schien es schließlich so, als werde auch er einlenken. Große Herausforderungen wie Migration, „können wir natürlich nur in einem Europa der Einigkeit bewältigen“, hieß es da zu Anfang. Gegen Ende wurde sein Ton jedoch erneut schärfer: Dobrindt sprach von Druck an den europäischen Außengrenzen. Von dem französischen Präsidenten, der ebenso Flüchtlinge zurückweise und davon, dass mehr als die Hälfte der Flüchtlinge in Europa nach Deutschland und nicht in die anderen Mitgliedstaaten gegangen seien. Am Ende wiederholte Dobrindt die Kernforderung der CSU: Die Zurückweisung von Flüchtlingen an deutschen Grenzen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert wurden. Fast zynisch wirkte es da, dass Dobrindt der Bundesregierung viel Erfolg beim EUGipfel wünschte.
Der Brüsseler Gipfel dauert bis Freitag. Am Sonntag tagen in München und Berlin die Gremien von CSU und CDU. Die CSU will dann darüber entscheiden , ob die von Angela Merkel erzielten Ergebnisse zufriedenstellend sind. Als Schicksalsfrage für die Europäische Union hatte Merkel das Thema Migration bezeichnet. Und da die Fronten innerhalb der Union weiter verhärtet sind, steht auch ihr persönliches politisches Schicksal auf dem Spiel.