Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Noch fit im Verkehr?
Viele ältere Autofahrer scheuen einen Fahrtüchtigkeitstest – Unser Autor hat’s gewagt
Freiwillig gibt kaum jemand seinen Führerschein ab.
So die Erfahrung von Fahrlehrer Thomas Krol mit älteren Autofahrern
Mein Vater ist ein guter Mensch gewesen. Freundlich, sozial eingestellt, aktiv für Völkerverständigung, gegen rechts. Verantwortungsvoll. Nur das mit dem Autofahren war nicht ganz einfach, als Senior. Per Wohnmobil war er noch bis Anfang 80 auf Tour. „Muss man sich doch nur reinsetzen und lenken“, befand er. Fuhr man mal kurz mit, bekam man es mit der Angst zu tun: Einfahren auf eine vierspurige Schnellstraße mit Tempo 30, dann ganz sachte auf 60 beschleunigen, um die gewünschte Ausfahrt nicht zu verpassen. „Ach, die Leute rasen heutzutage halt“, war der Kommentar angesichts wild hupender Autofahrer, die ihn als Verkehrshindernis wahrgenommen haben. Seinen Toyota hat er noch weit länger chauffiert. Bis es einem seiner Kinder aufgefallen ist, dass er oft die ganze Straßenbreite benötigte. „Middle of the road“, den Trennstreifen zwischen den Fahrbahnen als Richtlinie. In engen Kurven mit den Felgen am Randstein. Hätte ihm da ein „Fahr-Fitness-Check“des ADAC mit speziell ausgebildeten Fahrlehrern geholfen, so es ihn vor Jahren schon gegeben hätte? Durchaus. Vielleicht hätte er aber nur gesagt, was die meisten Männer denken: „Ich brauch’ das nicht. Ich bin ein guter, stets unfallfreier Fahrer.“Ist er ja auch gewesen, also unfallfrei. Regelmäßig geehrt von der Verkehrswacht. Mit Nadel und Urkunde.
Ob ich selbst auch schon ein Problem mit dem Fahren habe? Ich denke: natürlich nicht. Immerhin spule ich relativ viele Kilometer runter, mit VW-Bus und Pkw. Zähle auch erst knapp 68 Lenze, das ist doch kein Alter! Aber meine Augen sind nicht mehr so scharf, wie sie mal gewesen sind. Nachts fahre ich ungern. Vielleicht haben sich auch diverse Fehler eingeschlichen in all den Jahren. Fehler, die nicht sein müssen. Also auf zum Fahr-Fitness-Check beim Fahrlehrer meines Vertrauens. Der hat seine Fahrschule gleich gegenüber, hier in Leutkirch, und betreibt eine weitere Fahrschule in Bad Wurzach. Er ist durch einen speziellen Lehrgang beim Fahrlehrerverband in Korntal qualifiziert für diesen Check.
Verräterische Dellen und Kratzer
Zuerst die Vorbesprechung in ruhiger Atmosphäre. Thomas „Tom“Krol nimmt sich Zeit. Fragt nach gesundheitlichen Einschränkungen und nach den Erfahrungen beim Lenken des Fahrzeugs. Erläutert, dass dies keine Prüfung werde, „niemand nimmt Ihnen den Führerschein weg“. Das Ergebnis bleibe unter uns, gehe an keine Behörde. In der Nachbesprechung wird er seine Beurteilung abgeben, dabei konkrete Mängel benennen, aber auch die positiven Seiten ansprechen.
Vor der Fahrt, 45 bis 60 Minuten im gewohnten eigenen Auto, überprüft Krol zunächst das Fahrzeug von außen – zusammen mit dem Fahrer. Blinker, Lichter, Profiltiefe der Reifen. Er schaut auf Kratzer oder Dellen. Die sind oft ein Hinweis darauf, dass der ältere Fahrer oder die Fahrerin nicht mehr einwandfrei in die Garage kommt, oder beim Einparken Probleme hat. Bei dem vom Vater geerbten Corolla sind die vorderen und hinteren Stoßfänger deutlich angekratzt. Nicht von mir. Es ist übrigens ein Prachtstück von Seniorenauto: 14 Jahre alt, kaum 50 000 Kilometer auf der Uhr.
Auf geht’s. Wir fahren durch eine Siedlung, Tempo 30, rechts vor links. Fahrlehrer Krol, ein freundlicher, ruhiger Mann, hat ein Klemmbrett vor sich, unterteilt in zwei Hälften. Linke Seite für das Positive, die rechte für meine Fehler. Dann durch die Stadt. Zwischendurch gilt auch hier Tempo 30, es gibt Zebrastreifen, Ampeln. Raus aufs Land, die kurvige, enge Straße Richtung Herlazhofen. Ein Stoppschild signalisiert, dass wir jetzt auf die viel befahrene Landesstraße einbiegen. Obwohl an dieser Stelle Tempo 70 gilt, rasen viele. Vor allem die, die von der nahen Autobahn kommen und mental noch nicht im Landstraßen-Modus sind.
Der Verkehr ist zudem in den letzten Jahren viel dichter geworden, Senioren geraten da manchmal an ihre Grenzen. Und die Autos sind schneller, richtige PS-Brocken. Früher, als manche den Führerschein gemacht haben, galten 60, 70 PS schon als gute Motorisierung. So viel hat heute fast jeder Kleinwagen. Mein erstes Fahrzeug ist ein VW-Bus T1 mit 30 PS gewesen. Damit sind wir zu sechst bis nach Holland gekommen. Zurück natürlich auch.
Keine Frage: Das Klima im Straßenverkehr ist, sagen wir, robuster geworden. Wir leben heute in einer Ellenbogengesellschaft. Der „Kavalier der Straße“, vormals eine Initiative der deutschen Tageszeitungen, hat sich nicht ins 21. Jahrhundert retten können.
Weiter durch einige Ortschaften, zurück nach Leutkirch, in die Altstadt. Dort geht es gemächlich voran, so meine Einschätzung, bis wir die kurvenreiche, steile Waldstraße nach Ottmanshofen nehmen. Und zurück. Zwischendurch erzählt Thomas Krol, dass dieser Fahr-FitnessCheck keinesfalls ein Renner sei. Viele hätten wirklich Angst, dass danach der Lappen weg ist – was, wie gesagt, nicht zutrifft. Seinen Führerschein freiwillig abgeben würde kaum jemand. Oft seien es die Angehörigen, die Opa und Oma zu diesem Test drängen. Aus Sorge oder vielleicht weil die Familienkutsche schon zu viele Beulen hat.
Abgehängt auf dem Land
Ein Kandidat habe bei der Fahrzeugbesichtigung vor der Probefahrt angegeben, die vielen Macken stammten von seiner Ehefrau. Pech, dass diese hinter dem Vorhang gelauscht hat – und dies sofort lautstark dementierte. Der Trend zu bei Senioren beliebten SUVs oder Mini-SUVs hat eben zwei Seiten. Da sitzt man zwar höher, das Ein- und Aussteigen ist leichter. Aber die Karossen sind halt auch größer und unübersichtlicher als gewohnt.
Neulich hat bei Fahrlehrer Krol eine Frau angerufen – wegen ihrer Mutter. Diese sei 74, etwas dement, wolle aber immer noch Auto fahren. Hier wird ein Problem deutlich, das viele in ländlicher Gegend betrifft. Die Familie wohnt in einem Weiler, die Mutter fährt regelmäßig in die nächste Marktgemeinde zum Einkaufen. Vielleicht auch zur Freundin zum Kaffeeklatsch. Öffentlichen Nahverkehr gibt es so gut wie keinen. Kann die Mutter nicht mehr selber Auto fahren, verliert sie wichtige Kontakte und damit Lebensqualität. Das Auto ist für viele ganz wichtig. Damit das Auf-der-Welt-Sein nicht auf dem Rentnerbänkle vor dem Haus an einem vorüberzieht.
Nachbesprechung meiner Tour mit dem Fahrlehrer, ruhig und ungestört im Schulungsraum. Ob ich zuerst die guten oder die schlechten Ergebnisse hören will? Zuerst die guten. Er habe sich als Beifahrer bei mir wohlgefühlt, sagt Krol. Das sei nicht selbstverständlich, da er sonst immer eine eigene Bremse vor den Füßen habe. Positiv sei, dass ich immer beide Hände fest am Lenker habe. Meine Kommunikation mit den anderen Verkehrsteilnehmern sei gut, da merke man eine große Fahrpraxis. Auch das Blinken beim Abbiegen, beim Überholen. Ich empfinde das als eine Form der Höflichkeit anderen Autofahrern gegenüber. Viele haben diese verlernt. Oder nie gehabt.
Das Negative: Ich habe bei „rechts vor links“oft sehr spät reagiert, einmal gar nicht (kam ja keiner). Am Stoppschild bin ich zwar mit allen vier Rädern stehen geblieben, aber nicht lange genug. Angemessen seien zwei, drei Sekunden. Im verkehrsberuhigten Bereich der Altstadt gilt Fußgängertempo – da bin ich mit 28 Stundenkilometer unterwegs gewesen.
Das soll ja auch jüngeren Autofahreren gelegentlich passieren. In der 30er-Zone sei ich 40 gefahren. Okay, das ist nicht überraschend. Ich habe deswegen schon diverse Bußgelder gezahlt, hier und anderswo, oft wurden hübsche Porträts angefertigt. Wobei ich selbst entschiedener Befürworter des langsamen Verkehrs in Wohngebieten bin. Gravierendster Fehler: Ich habe an einem Fußgängerüberweg nicht angehalten, obwohl zwei Personen darauf zugegangen sind – von jeder Seite eine. Meinen Einwand, die seien auf dem Fußweg doch noch drei Meter vom Übergang entfernt gewesen, lässt der Fahrlehrer nicht gelten. „Das gäbe eine deutliche Geldstrafe und einen Punkt in Flensburg“. Nun, muss wirklich nicht sein, zumal meine Akte in Flensburg sozusagen jungfräulich ist. Einen Öko-Tipp gibt mir Thomas Krol noch mit auf den Weg: Würde ich schneller in einen höheren Gang schalten – etwa in den vierten bei Tempo 50 – könne ich einen Liter Sprit pro 100 Kilometer sparen.
Die Hinweise sind angekommen. Ich habe etwas dazugelernt. Und bin offenbar noch sicher auf der Straße unterwegs. Hoffentlich noch lange. Im Zweifel: noch ein Check. Autonom fahrende Autos lassen ja wohl noch einige Zeit auf sich warten.