Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Acht Minuten Weltall
Weingartener Schüler dürfen mit dem deutschen Astronauten Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation ISS funken
WEINGARTEN - 408 Kilometer Entfernung zur Erde, eine Geschwindigkeit von 28 000 Stundenkilometern und Gesamtkosten von mehr als 100 Milliarden Euro: nur einige der imposanten Zahlen zur Internationalen Raumstation ISS. Für eine Handvoll Schüler des Gymnasiums und der Realschule Weingarten aber ist eine viel kleinere Zahl maßgeblich – die Acht. Denn ziemlich genau acht Minuten werden sie in der zweiten Oktoberwoche mit der ISS und dem deutschen Astronauten Alexander Gerst funken. Als eine von wenigen Schulen in ganz Deutschland haben sie diese besondere Erlaubnis erhalten. „Es ist schon ein Ziel von vielen Funkamateuren, mal mit dem Alexander Gerst oder der ISS zu funken“, sagt der zwölfjährige Jan Krause. Als einer der jüngsten Funkamateure Deutschlands darf er unserem Mann aus Künzelsau, der dann sogar ISS-Kommandant ist, eine Frage stellen. „Manche Funkamateure würden für ihr Leben gerne mal mit ihm funken, kriegen es aber nicht hin. Das ist schon sehr aufwendig.“
Jede Menge Arbeit
Und Aufwand wurde und wird reichlich für diese acht Minuten betrieben. Schon im Bewerbungsverfahren, das letztlich der Ravensburger Ortsverband des Deutschen-Amateur-Radio-Clubs (DARC) übernommen hatte, steckte jede Menge Arbeit. Umfassende Berechnungen, Formulare und Unterlagen mussten bei der sogenannten „Amateur Radio on the International Space Station“(ARISS) eingereicht werden. Doch zunächst erhielt der Club mit Sitz in Ravensburg eine Absage. Eine Entscheidung, die der Ravensburger DARC-Vorsitzende Ernst Steinhauser so nicht akzeptieren wollte. „Wir sind hartnäckig geblieben. Von der ersten Absage haben wir uns nicht abschrecken lassen“, sagt er.
Also wurde der aufwendige Antrag erneut gestellt. Im Februar dieses Jahres dann die erlösende Nachricht von der ARISS: „You are on board“, hieß es. Seitdem laufen die Vorbereitungen für die Woche vom 8. bis 14. Oktober auf Hochtouren. Denn dann wird das Event auf dem Sportplatz des Weingartener Schulzentrums stattfinden. Der genaue Termin wird von der ARISS erst kurzfristig bekanntgegeben. Schließlich haben die rund 300 Experimente, etwaige Reparaturen oder Außeneinsätze auf der ISS Vorrang. „Es ist schon ein Topevent, mit der ISS funken zu dürfen. Das schafft man selten. Erstens, weil die Astronauten nur in ihrer Freizeit mit uns funken dürfen. Und wenn Sie Freizeit haben, müssen sie das ja nicht tun. Darum ist das schon ein Highlight, so etwas mal zu kriegen“, sagt Steinhauser.
Teilen mit Heilbronn
Das weiß auch Jan Krause. Der zwölfjährige Weingartener darf für den DARC eine Frage an Alexander Gerst richten. Die übrigen fünf bis zehn Fragen werden andere Schüler stellen. Da das Weingartener Team nur gemeinsam mit dem RobertMeyer-Gymnasium in Heilbronn ausgewählt wurde, müssen sie sich die Fragen teilen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Neben Jan Krause werden wahrscheinlich nur drei bis vier andere Schüler aus Weingarten mit Gerst funken – je nachdem wie lang die Fragen und Antworten ausfallen. Um Zeit zu sparen und Dubletten zu vermeiden, werden sich Schulen und Schüler untereinander absprechen, welche Fragen gestellt werden. „Gute Fragen herauszusuchen ist gar nicht so einfach“, sagt Matthias Metzler, Lehrer am Gymnasium Weingarten.
Daher bereiten sich seine Schüler der Klassenstufe 11 in einem Astronomieund einem Naturwissenschaftsund Technikkurs (NWT) zwei Stunden pro Woche auf das Thema vor. Dabei schreiben die rund 35 Schüler auch Klausuren und können sich die Kurse anrechnen lassen. „Das zieht sich als roter Faden ein halbes Jahr durch“, erklärt Metzler, der am liebsten aber die ganze Schule für das Thema begeistern will. Daher wird es auch wichtiger Bestandteil eines Schulfestes am 20. Juli sein. Etwas beschaulicher geht es derweil an der Realschule zu. Weil das Thema inhaltlich schwer in den Unterricht oder Kurse zu integrieren war, treffen sich die 25 interessierten Acht- und Neuntklässler hier einmal die Woche freiwillig in ihrer Mittagspause. Dabei werden vor allem physikalische Gesetzmäßigkeiten im All sowie die Geschichte der bemannten Raumfahrt behandelt.
Mit Physik und Technik werden sich in den kommenden Wochen auch noch einige der 68 Mitglieder des Ravensburger DARC auseinandersetzen. Schließlich müssen sie noch die genaue Flugbahn der ISS berechnen, damit die Antennen entsprechend ausgerichtet werden können. Je exakter die Berechnung, desto länger könnte der Kontakt mit Gerst sein. Schließlich rauscht die Internationale Raumstation mit 28 000 Kilometern pro Stunde durch die Umlaufbahn. Nur in der Zeit, in der sie am Himmel erscheint, kann gefunkt werden. Sobald sie hinter dem Horizont verschwunden ist, wird das Signal abbrechen. „Wenn wir im Tal sitzen würden, würde das gar nicht funktionieren“, erklärt Steinhauser, der den Standort der Schule für gut befindet. „Auf dem Höchsten hätten wir wahrscheinlich eine Minute mehr.“
Damit aber auch vom Weingartener Sportplatz alles glatt läuft, werden Steinhauser und seine Kollegen eine drei Meter hohe Antenne aufbauen. Dazu kommen ein Haupt- und ein Ersatzfunkgerät sowie ein Computer, der die Antenne steuert und ausrichtet. Auch ein Notstromaggregat muss für den Fall der Fälle vor Ort sein. Doch das dürfte kein Problem sein. „Die größte Herausforderung ist es, Alexander Gerst verständlich rüberzukriegen. Die Amateurfunkstation auf der ISS ist sehr klein. Er fährt also mit wenig Leistung und wir müssen da schon spezielle Antennen und Mastvorverstärker aufbauen, damit wir ihn gut verstehen“, erklärt Steinhauser. „Wir werden ihn deutlich schlechter hören, als er uns.“
Auch bei Jan Krause laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Mit seinem Funkgerät und einer knapp zwei Meter langen Antenne sitzt er regelmäßig auf seinem Balkon und funkt mit seinen älteren Kollegen aus dem Ortsverband. Mit seinen Kurzwellen kommt der Zwölfjährige nur 20 bis 30 Kilometer weit. Für das Gespräch mit Gerst darf er aber ein Ultrakurzwellengerät der deutschen Firma Hilberling (PT8000A) benutzen. Mit dem „Bentley der Funkamateure“sollte die Verbindung klappen, sodass Krause nach Gersts Mission eine sogenannte QSL-Karte bekommt. „Das sind kleine Bestätigungskarten. Die hat jeder Funkamateur. Da steht hinten drauf, wann man auf welcher Frequenz mit wem gefunkt hat. Wenn man von Alexander Gerst eine kriegt, ist das viel mehr wert“, sagt der junge Funkamateur.
Die Frage, was er den ISS-Kommandanten denn wohl fragen wird, kommt noch zu früh: „Das kann ich jetzt noch gar nicht sagen. Da hab ich mir noch keine Gedanken gemacht, weil ich noch nicht wusste, wie es hier abläuft. Aber ich denke, es wird irgendetwas mit den Geräten da oben zu tun haben.“
„Es ist schon ein Topevent, mit der ISS funken zu dürfen. Das schafft man selten.“Ernst Steinhauser, Vorsitzender des Deutschen Amateur-Radio-Clubs