Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Özils letzter tödlicher Pass im DFB-Team
Er verteidigt Erdoganfotos, attackiert Grindel und tritt aus Nationalmannschaft zurück
BERLIN (dpa/SID/fil) - Mesut Özils Karriere in der deutschen Fußballnationalmannschaft endet nach 92 Spielen mit einem Knall: Tief verletzt hat der 29-jährige Spielmacher am Sonntag sein wochenlanges Schweigen gebrochen und sich in mehreren Erklärungen in den sozialen Netzwerken gegen seine Rolle als WM-Sündenbock in der seit Mai schwelenden Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gewehrt.
Seine dreiteilige Erklärung gipfelte am Abend in einer persönlichen Attacke gegen DFB-Chef Reinhard Grindel und seinem Rücktritt aus dem DFB-Team. „Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, solange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre“, schrieb Özil, der sein Debüt für das DFB-Team am 12. August 2009 in Aserbaidschan gegeben hatte und der als einer der Lieblingsschüler von Bundestrainer Joachim Löw insgesamt 23 Tore erzielte.
Sein letztes Spiel wird nun das 0:2 gegen Südkorea im letzten Gruppenspiel der WM in Russland bleiben. Die Partie also, durch die das DFBTeam erstmals in einer WM-Vorrunde ausschied. In der Folge hatten DFB-Teammanager Oliver Bierhoff und Reinhard Grindel Özils Rolle in der Erdogan-Affäre hinterfragt und eine Erklärung gefordert. Die haben sie nun bekommen.
DFB-Präsident Reinhard Grindel für Özil „inkompetent“
Er fühle sich vom Deutschen Fußball-Bund und insbesonders von dessen Präsident Grindel schlecht behandelt. „Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen“, schrieb Özil an die Adresse von Grindel, bis 2016 Bundestagsabgeordneter für die CDU. „Ich weiß, dass er mich nach dem Bild aus dem Team haben wollte. Reinhard Grindel, ich bin sehr enttäuscht, aber nicht überrascht von Ihrem Handeln“, so Özil.
Özil rückt den DFB-Präsidenten in die Nähe von Rassisten. Ob der sich, ohnehin wegen seines Krisenmanagements in der Kritik stehend, weiter im Amt halten kann, ist offen.
In seinen zwei vorherigen Erklärungen hatte Özil zunächst die Erdoganfotos verteidigt und politische Absichten bestritten. Zudem hatte er „bestimmte“deutsche Medien und Sponsoren scharf wegen ihres Verhaltens angegriffen. Er warf diesen Zeitungen „rechte Propaganda vor, „um ihre politischen Interessen voranzutreiben“. Er sei enttäuscht über die „Doppelmoral“in der Berichterstattung und verwies auf ein ebenfalls umstrittenes Treffen von Lothar Matthäus mit Kremlchef Wladimir Putin hin. Matthäus habe sich dafür nicht öffentlich erklären müssen und dürfe weiterhin Ehrenspielführer bleiben. „Macht mein türkisches Erbe mich zu einem besseren Ziel?“, fragte Özil.
Nach den Bildern mit Erdogan sei er von einem DFB-Sponsor nachträglich aus Werbekampagnen entfernt worden. „Für sie war es nicht länger gut, mit mir gesehen zu werden. Sie nannten diese Situation ,Krisenmanagement’“, ließ Özil wissen. Ohne den Namen des Sponsors konkret zu nennen, war klar, dass er Mercedes meinte, als Özil von einer Rückrufaktion der Produkte des Herstellers sprach. Das Wangener Projekt BigShoe, das armen Kindern Operationen ermöglicht und für das Özil sich engagiert, lobte er dagegen ausdrücklich.
Hass-Mails und Drohungen
Das Treffen mit Erdogan in London, an dem auch DFB-Teamkollege Ilkay Gündogan teilnahm, bereut Özil nicht. „Was auch immer der Ausgang der vorangegangenen Wahl gewesen wäre oder auch der Wahl zuvor, ich hätte dieses Foto gemacht“, schrieb Özil. „Ein Foto mit Präsident Erdogan zu machen, hatte für mich nichts mit Politik oder Wahlen zu tun, es war aus Respekt vor dem höchsten Amt des Landes meiner Familie.“
Die Affäre um die Fotos hatte die WM-Vorbereitung der Nationalmannschaft überschattet und war auch während des Turniers in Russland ein Störfaktor. Nach dem WMAus wurde die Debatte um die Integration der Nachkommen von Migranten und um Fremdenhass immer schärfer. „Ich bin Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren“, beschrieb Özil seine Situation und berichtete von Hass-Mails und Drohungen gegen seine Familie und ihn.