Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Dick und diskriminiert
Wer an Übergewicht und Adipositas leidet, wird gesellschaftlich ausgegrenzt – So beginnt eine Spirale des Leids
BERLIN/MÜNCHEN (dpa/sz) - Als Magda Albrecht ein Kind war – so um die fünf Jahre alt – sagte ihr eine Ärztin: „Du bist zu dick, du musst mehr Sport machen.“Dabei war Albrecht ein sportliches Kind, erinnert sie sich . „Aber eben ein dickes sportliches Kind.“Auch ihre Klassenkameraden gaben ihr das Gefühl, dass mit ihr etwas nicht stimme – und ärgerten sie. Oder um es deutlicher zu sagen: „Ich bin von Kindheit an diskriminiert worden.“Lange Zeit suchte die heute 31-Jährige den Fehler bei sich. „Ich habe meinen Körper immer als den ultimativen Makel gesehen und das auch nicht hinterfragt.“
Magda Albrecht ist auch heute noch, was man gemeinhin als dick bezeichnen würde. Für sie ist das kein Problem mehr. Für viele andere offenbar schon. Body Shaming nennt sich das, derzeit häufig ein Schlagwort für das Phänomen. Es bedeutet, dass Menschen aufgrund ihres Körpers – wörtlich – beschämt werden. Das trifft häufig Dicke. Einer DAKStudie zufolge finden 71 Prozent der Erwachsenen in Deutschland Fettleibige unästhetisch, 38 Prozent denken das über Dicke.
„Die Stigmatisierung von Übergewichtigen ist ein großes Problem“, sagt Martina de Zwaan, Vizepräsidentin der Deutschen AdipositasGesellschaft. „Menschen, die diskriminiert werden, beginnen sich selbst zu diskriminieren.“Das führe dazu, dass sie glauben, nicht glücklich sein zu können, solange sie dick sind. Sie definieren sich dann ausschließlich über ihren Körper. So entsteht eine Spirale aus Frustration und Leid.
Die Diskriminierung trifft auch Menschen, die an Adipositas leiden – an krankhaftem Übergewicht, auch Fettleibigkeit oder Fettsucht genannt. Besonders problematisch in diesem Fall ist, dass große Teile der Bevölkerung – und auch manche Ärzte – Fettleibigkeit nicht als Krankheit sehen, sondern als Zeichen eines ungesunden Lebensstils. Tatsächlich aber ist Adipositas eine Erkrankung mit vielen unterschiedlichen Auslösern. Neben mangelnder Bewegung und falscher Ernährung zählen auch psychische und genetische Ursachen. Hauptsymptom einer Adipositas ist zuviel Körperfettmasse, die sich in vielen Fällen vor allem auf den Bauch konzentriert. Gerade dieser typische „Bierbauch“gilt gesellschaftlich als Symbol für Dicke, die sich gehen lassen.
„Viele meinen, das Gewicht lasse sich leicht kontrollieren“, sagt de Zwaan. Ein bisschen mehr Bewegung, ein bisschen gesünder essen – dann wird das schon. Wer das nicht schafft, hat – scheinbar – keine Selbstbeherrschung, ist selbst schuld und schwach. Doch ganz so einfach ist das nicht. Warum jemand dick ist, kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Und: „Unsere Biologie sagt uns immer noch: Wenn Essen da ist, bitte essen“, erklärt die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie aus Hannover.
Um abzunehmen, brauche es einen enormen Willen – und um das Gewicht dann zu halten noch viel mehr. Wer seinen Körper mit viel Selbstdisziplin trimmt, schaut vielleicht leichter auf andere herab, die das nicht so können.
Natürlich können zu viele Kilos auch Gesundheitsrisiken bergen. Mit Adipositas steigt das Risiko für koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und Typ-2-Diabetes. Deshalb – so sagt es Martina de Zwaan – sei es als dicker Mensch zumindest sinnvoll, nicht weiter zuzulegen. Aber sie fordert auch: „Die Menschen sollen mit ihrem Körper zufrieden sein, auch wenn er nicht perfekt ist.“Das fällt besonders schwer, wenn andere sie auf ihr Gewicht reduzieren – sie stigmatisieren.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Übergewicht und Adipositas (Fettleibigkeit) nach dem sogenannten KörpermasseIndex (Body-Mass-Index = BMI). Ab einem BMI über 30 spricht man von Adipositas. Bestimmen lässt sich der Wert mit einem Online-Rechner: www.adipositasgesellschaft.de/mybmi/