Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Great again“
Selbstbewusst gibt sich Siemens eine neue Struktur und den Sparten mehr Freiheit
MÜNCHEN - Der Mischkonzern Siemens gibt sich selbstbewusst und will mit einem Konzernumbau künftigen Veränderungen begegnen: Dabei verlegt Siemenschef Joes Kaser die Führung wichtiger Unternehmensbereiche ins Ausland. Aus bisher fünf Sparten werden drei operative Einheiten: Gas und Energie, smarte Infrastruktur sowie digitale Industrie. „Siemens ist gegenwärtig in einer sehr starken Position“, sagte Vorstandschef Joe Kaeser am Donnerstag in München. Man sei „great again“– und das seien keine „Fake News“. Die Energiesparte mit weltweit 71 000 Mitarbeitern und 21 Milliarden Euro Umsatz soll ihren Sitz im Zentrum der US-Ölindustrie in Houston (Bundesstaat Texas) haben. Diese Entscheidung dürfte auch mit der aggressiven Handelspolitik von Präsident Donald Trump zu tun haben.
Die drei Unternehmenseinheiten der neuen Konzernstruktur sollen unabhängiger agieren können. Als den großen Wurf sehen Branchenexperten die neue Strategie und Unternehmensstruktur aber nicht. Aus fünf werden drei – so der einfache Kern der Struktur und Strategie von Siemens mit dem bezeichnenden Namen „2020+“. Bezeichnend, weil der 61-jährige Joe Kaeser 2021 seinen Chefposten räumen will. Offenbar soll die neue Strategie über ihn hinaus das Unternehmen prägen.
Die Strategie sieht vor, aus den bislang fünf Unternehmensbereichen drei zu machen. Sie sollen mehr Freiheiten und Handelsspielräume bekommen – also weitgehend eigenständige Unternehmensteile bilden. Die drei neuen Einheiten sind Digitale Industrien, Infrastruktur- und Gebäudetechnik und Energie. Kaeser begründete die Neuordnung mit den rasanten globalen Veränderungen, auf die sich der Konzern einstellen müsse. „Es wäre unverantwortlich, wenn wir uns jetzt auf den erreichten Erfolgen ausruhen würden.“
Wie groß die Freiheiten der neuen Unternehmensteile sein werden, ließ der Unternehmenschef offen – das hinge von deren „Performance“ab. Mit dieser Zukunftsstrategie soll Siemens schneller wachsen und profitabler sein. So strebt Siemens für die in Zukunft eigenständigeren Unternehmenssparten operative Umsatzrenditen von elf bis 15 Prozent an. Vorher peilte Siemens nur elf bis zwölf Prozent an. Auf der anderen Seite soll die Siemens-Zentrale in München schlanker werden. Mitarbeiter und Kompetenzen sollen von dort in die neuen Unternehmensbereiche wandern. Man nehme sich Zeit, alles in die neue Struktur zu bringen, gab Kaeser vage an, ohne konkrete Zahlen zu nennen.
Der „große Wurf“sei das nicht, urteilte Sven Diermeier aus dem Analystenhaus Independent Research. Dass Kaeser im Vagen blieb, dürfte auch der Einsicht geschuldet sein, dass er zwischen verschiedenen Interessengruppen – Mitarbeitern, Kunden und Aktionären – einen gangbaren Weg anzeigen wollte. „Man muss die Balance finden zwischen dem Machbaren und dem Wünschenswerten“, ließ Kaeser wissen. Einsicht des Mannes, der einst als einer der ersten Manager dafür plädierte, Gemischwarenläden, Konglomerate wie Siemens aufzulösen.
So hat er beispielsweise die Windkraft mit der spanischen Gamesa fusioniert, er hat Healthineers, die Siemens-Gesundheitssparte im Frühjahr erfolgreich an die Börse gebracht und er hat die Weichen gestellt für die Fusion der SiemensZugsparte mit dem französischen TGV-Produzenten Alstom. An weitere Börsengänge sei derzeit aber nicht gedacht.
Die drei eigenständigen Töchter Healthineers, Siemens-Gamesa und das künftige Gemeinschaftsunternehmen für Bahntechnologien sollen neben den drei künftigen operativen Siemens-Unternehmensbereichen stehen. Damit wählt Siemens einen Mittelweg zwischen dem früheren „Gemischtwarenladen“in einem Unternehmen und einer Holding mit unterschiedlichen, mehr oder weniger komplett unabhängigen Unternehmenstöchtern.
Seitenhieb auf General Electric
Dass Joe Kaeser seine Zukunftspläne mit dem Zusatz versehen hat, dass man aus einer Position der Stärke heraus agiere mit dem Ziel, das Unternehmen aus eigenem Willen zukunftsfest zu machen, ist ein Seitenhieb gegen den Konkurrenten General Electric, der in einer Krise steckt und in der Not Unternehmensteile verkaufen muss; der Aktienkurs von General Electric hat sich im vergangenen Jahr halbiert.
Als den großen Wurf allerdings scheinen Anleger die Siemens-Strategie und die Quartalszahlen auch nicht unbedingt zu werten. SiemensAktien waren am deutschen Aktienmarkt die größten Verlierer im Dax. „Im Grunde war da nichts großartige Neues dabei von dem, was Joe Kaeser verkündet hat“, sagte Branchenanalyst Stefan Schöppner von der Commerzbank. Anders, so vermutet Schöppner, wäre es gewesen, wenn Siemens einen Börsengang oder zumindest ein Teilbörsengang angekündigt hätte.