Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ibuprofen ist Mangelware
Nach einem Produktionsausfall in den USA werden bestimmte Wirkstärken des beliebten Schmerzmittels knapp
RAVENSBURG - Wer über Kopfschmerzen, eine ziepende Wade oder Rückenschmerzen klagt, bekommt oft die Antwort: „Dann nimm doch eine Ibu.“Ibuprofen ist das beliebteste Schmerzmittel in Deutschland. Doch schnell eine „Ibu“zu nehmen, könnte in den nächsten Tagen nicht mehr ganz so einfach sein, denn bestimmte Wirkstärken und Packungsgrößen sind derzeit schwer zu bekommen. Apotheker haben Mühe, Ibuprofen zu beschaffen, und auch Patienten müssen sich umstellen.
Weltweit gibt es nur sechs Fabriken, in denen zurzeit Ibuprofen produziert wird: an zwei Standorten in China von den chinesischen Konzernen Hubei Granules-Biocause und Shandong Xinhua, in Indien von den indischen Unternehmen Solara und IOLCP sowie von dem US-amerikanischen Unternehmen SI Group und dem deutschen Traditionskonzern BASF in den USA. Das BASF-Werk im texanischen Bishop musste die Produktion des Wirkstoffes wegen technischer Probleme aber vorübergehend komplett einstellen. Damit falle einer der größten Produzenten weltweit aus, teilt der Branchendienst Apotheke Adhoc mit. Obwohl die anderen Rohstofflieferanten bereits am Anschlag produzieren, können sie den Ausfall des BASF-Werks nicht kompensieren.
Arzneimittelhersteller, die Ibuprofen von den Rohstofflieferanten beziehen und dann zu Arzneimitteln weiterverarbeiten, haben also Probleme, an den Wirkstoff zu gelangen. „Generell ist die Nachfrage an dem Wirkstoff schon höher, als die produzierte Menge, wenn jetzt noch ein Wirkstoffproduzent ausfällt, stellt das den gesamten Markt natürlich vor Probleme“, sagt eine Sprecherin des Pharmakonzerns Sanofi, zu dem der Arzneimittelhersteller Winthrop gehört. Der Konzern erhalte aber weiterhin den Wirkstoff und produziere auf Hochtouren: „Wir haben immer Ware da, aber die ist eben knapp und sehr stark nachgefragt.“
Auch das israelische Pharmaunternehmen Teva, das den Ulmer Konzern Ratiopharm 2010 übernommen hat, hat momentan Schwierigkeiten, den Wirkstoff zu bekommen. „Wir waren in letzter Zeit mit unterschiedlichen Wirkstärken bei Ibuprofen nicht lieferbar und sind es teils auch noch“, erklärt eine Teva-Sprecherin. Auch der Ulmer Konzern erhalte laufend neuen Rohstoff und produziere dann umgehend. Trotzdem seien weitere Lieferengpässe bei einigen Wirkstärken in den kommenden Wochen nicht ausgeschlossen.
Die Ibuprofen-Knappheit wirkt sich vor allem auf Apotheken aus. „Es ist gerade unmöglich, alle Stärken beziehungsweise den Wirkstoff von allen Herstellern vorrätig zu haben“, sagt Tatjana Zambo, Vizepräsidentin des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg. Besonders betroffen seien die verschreibungspflichtigen Wirkstärken, bei denen 600 oder 800 Milligramm des Wirkstoffs in einer Tablette enthalten sind. Die frei verkäuflichen Stärken, also 200 und 400 Milligramm, seien dagegen wesentlich einfacher zu bekommen.
Ibuprofen ist der am häufigsten von Ärzten verschriebene Wirkstoff in Deutschland. Im Vergleich zu anderen Schmerzmitteln wirkt Ibuprofen in höherer Dosis nicht nur schmerzstillend und fiebersenkend, sondern auch entzündungshemmend. Außerdem gilt Ibuprofen als magenverträglicher als andere Wirkstoffe wie Paracetamol oder Acetylsalicylsäure.
„Wir müssen jonglieren“
„Wir tun aber alles, damit sich der Engpass nicht auf die Patienten auswirkt“, sagt Zambo. Auf einen anderen Wirkstoff umsteigen müsse niemand, sagt Zambo. „Mit dem, was wir an Ibuprofen gerade da haben, müssen wir eben etwas jonglieren“, erklärt die Apothekerin. Konkret heiße das, dass der Patient in Absprache mit dem Apotheker auf eine andere Stärke, eine andere Packungsgröße oder einen anderen Hersteller von Ibuprofen ausweichen müsse.
Krankenkassen schließen mit Arzneimittelherstellern Rabattverträge ab. Das heißt: Wird einem Patienten ein Medikament verschrieben, bestimmt seine Krankenkasse, von welchem Hersteller der Kunde das Arzneimittel bekommt. „Wenn der Rabattvertragspartner aber Lieferschwierigkeiten hat, dürfen wir auf andere Hersteller ausweichen“, erklärt die Landesapothekerverband-Vizepräsidentin.
Eine Alternative für die Patienten zu suchen, sei wenig Aufwand. Schwieriger sei es, ständig die Lieferfähigkeit der einzelnen Hersteller zu überprüfen, so Zambo. Lieferengpässe bei einzelnen Arzneimitteln gebe es immer wieder, aber einen Wirkstoffausfall dieser Dimension habe Tatjana Zambo, die zwei Apotheken im badischen Gaggenau führt, noch nie erlebt.
„In den vergangenen Wochen war es tatsächlich schwieriger, den Wirkstoff in manchen Stärken zu bekommen. Inzwischen hat sich der Engpass, zumindest für uns, aber wieder etwas gelegt“, sagt Carmen Masur von der Marien-Apotheke und der Apotheke am Elisabethenkrankenhaus in Ravensburg. Aktuell habe sie, dank einer vorausschauenden Warenwirtschaft, Ibuprofen in allen Stärken vorrätig.
Andrea Gau von der Stadt-Apotheke in Bad Waldsee rechne damit, dass die Knappheit des Wirkstoffes noch einige Wochen andauern werde. „Der Engpass bedeutet für uns mehr Aufwand bei der Bestellung der Medikamente. Wir müssen beinahe täglich kontrollieren, ob die Hersteller neue Ware zur Verfügung haben“, sagt Gau. Auch sie habe in ihrer Apotheke rechtzeitig auf den Engpass reagiert: „Wir haben uns früh bevorratet und konnten die Knappheit bisher deshalb gut überbrücken.“
Um Problemen wie dem aktuellen Engpass entgegenzuwirken und aufgrund der steigenden Nachfrage nach Ibuprofen, will BASF in Ludwigshafen eine neue Fabrik für den Wirkstoff bauen. Die soll allerdings erst 2021 in Betrieb gehen.