Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Speckknödel mit Aussicht
Bei Urlaubserlebnissen auf Bauernhöfen in Südtirol spielt der Rote Hahn eine große Rolle
Der Weg ist an diesem Tag nicht das Ziel. Sondern die Speckknödel von Marta Thaler. Die serviert die Südtiroler Bäuerin auf dem Zmailer-Hof, ihrem Zuhause oberhalb von Schenna auf 1090 Metern Meereshöhe. Mit dem Auto geht es über zwei Kilometer eine kurvige Steilstraße hinauf, dann rechts abbiegen, ankommen. Da ruht er in der Abendsonne, der 600 Jahre alte Bergbauernhof. Teile des Gebäudes stehen unter Denkmalschutz, und auch sonst ist hier alles noch beim Alten. Die Milchkühe sind auf der Weide, im Stall rupft der Jungstier mit den Kälbern am Heu. Ein paar Hühner leisten ihnen gackernd Gesellschaft.
Einen roten Hahn gibt es auch noch, er ist das Wahrzeichen für Ferien auf den Bauernhof in Südtirol und leuchtet mit stolz geschwellter Brust auf einer Holztafel vor dem Haus. Der „Rote Hahn“ist die Dachmarke des Südtiroler Bauernbunds, er steht für Urlaubserlebnisse auf dem Bauernhof und zeichnet 1600 Betriebe aus. 42 davon gelten als ausgewiesene Feinschmecker-Höfe. Buschenschanken sind darunter, deren Weine vom eigenen Weinberg kommen, und Gaststätten wie der ZmailerHof, die ausschließlich Fleisch, Obst und Gemüse aus eigener Produktion servieren.
Erwähnung im Gault-Millau
Feinschmecker auf dem Bauernhof? Das ist kein Marketingspruch. Auf manchen entlegenen Höfen in Südtirol wird die traditionelle Küche mindestens so gut zubereitet wie in den Restaurants in und um Bozen oder Meran. Die Speckknödel von Marta Thaler etwa waren Gourmetführer Gault Millau schon mehrfach eine Erwähnung wert.
Es ist Sommer, die Tür steht offen, vorbei geht es an denkmalgeschützten Fresken und durch einen kühlen Steinflur hinaus auf die Sonnenterrasse. Hier treffen Wanderer, die eher zufällig vorbeikommen, auf Tagesgäste, die den Zmailer-Hof ganz gezielt ansteuern. „Immer zu Anfang und zu Ende unseres Urlaubs führt es uns hierher“, schrieb neulich eine Rezensentin bei Google. „Kaiserschmarrn, Speckeier und Apfelstrudel waren wie immer spitze. Und die beste Aussicht am Berg gibt’s gratis obendrauf.“
So gilt der erste Blick dem Meraner Talkessel, der sich wie eine Bühne öffnet, rundherum Gipfelkronen und Almwiesen. Dann konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf das Speiseangebot, das die 54 Jahre alte Gastgeberin in Aussicht stellt. „Ihr könnt statt der Speckknödel auch Brennnessel- oder Käseknödel bekommen, dazu einen schönen Gulasch und als Nachtisch Erdbeerrou- laden oder Kaiserschmarrn“, zählt sie auf. Dazu stellt sie zwei große Krüge auf den Tisch, einen mit Holunder- und einen mit Himbeersaft gefüllt. Kleine Blüten schwimmen darin. Der Geschmack ist fantastisch.
Seit ihrer Heirat vor 30 Jahren bewirtet Martha auf der Terrasse und in der 200 Jahren alten Gaststube des Elternhauses ihres Mannes Tagesgäste. Übernachtungen bietet der Hof nicht an. „Die Landwirtschaft steht nach wie vor im Vordergrund, erklärt sie. „Deshalb gibt es bei uns seit jeher einfache, schlichte Gerichte”, erklärt sie. Dann muss sie wieder in die Küche und unter der rußgeschwärzten Gewölbedecke – früher wurde hier der Speck geräuchert – nach dem Rechten sehen.
Der Zmailer-Hof ist nur mittags geöffnet, trotz aller Beliebtheit und Nachfragen von Gästen. Mehr können Martha, ihr Mann Johann und die drei erwachsenen Töchter nicht bewältigen. 20 Rinder müssen versorgt werden, dazu gibt es Arbeit im Wald, auf den Weiden, im eigenen Weinberg und im Hausgarten, in dem Blumen wachsen und Minze, Himbeeren und Salate. Die Bergbauern arbeiten hart, so wie es auch ihre Vorfahren taten, die um drei Uhr früh die Kühe molken, um zeitig bei Tagesanbruch um fünf Uhr auf dem Acker zu sein. Seit 200 Jahren ist der Hof im Besitz derselben Familie. Manches hat sich geändert, vieles tickt immer noch so langsam wie die goldenen Zeiger der Wanduhr in der Stube. Die Großelterngeneration fuhr noch mit dem Pferdewagen hinunter nach Meran, um dort Butter und Gemüse zu verkaufen. Viel Arbeit für wenig Geld. Die Schwieger- mutter von Martha Thaler hatte schließlich die Idee mit einer Hofschänke. „Bei ihr gab es schon im Jahr 1982 Säfte statt Limo.“
Das Problem mit dem Speck
Limo oder Cola wird der Gast bei den Roten Hähnen bis heute vergeblich bestellen. Die Anforderungen an die teilnehmenden Betriebe sind streng. Das Siegel soll den Bauern einerseits ein Auskommen sichern. Andererseits soll es Brauchtum, Natur und Leben Südtirols authentisch vermitteln. Es gibt unterschiedliche Produktlinien wie „Urlaub auf dem Bauernhof“, „Bäuerliche Schankbetriebe“und „Qualitätsprodukte vom Bauern“. Bei den bäuerlichen Schankbetrieben wie dem ZmailerHof müssen 75 Prozent der Rohware von der eigenen Landwirtschaft stammen.
Wer meint, dass regionale Lebensmittel in solch einer Umgebung selbstverständlich seien, der irrt. Auch in der Landwirtschaft greift das Prinzip der Globalisierung. Das beste Beispiel dafür ist der Südtiroler Speck: Das Fleisch dafür stammt meist aus industrieller Tierhaltung und wird aus Holland, Dänemark oder Bayern über den Brenner gebracht. Echter Südtiroler Bauernspeck hat einen hohen Fettanteil und kostet entsprechend. Auch bei Thalers kommt zugekauftes Fleisch in die Knödel, es stammt aus dem benachbarten Sarntal. Die eigenen zwei Schweine würde niemals reichen, um den Hunger der vielen Gäste zu befriedigen.
Und wirklich: Die von den GaultMillau-Testern gerühmten Teigwaren lassen sich butterweich mit der Gabel zerteilen und verteilen ihre Aromen aus Speck und Kräutern perfekt im Gaumen. Das Gulasch dazu ist so zart, dass es auf der Zunge zergeht. Man könnte jetzt noch das eine oder andere Glas Wein ordern – wenn da nicht die abenteuerliche Zufahrtsstraße wäre. Da ist Konzentration gefordert. Es bleibt beim Himbeersaft, und auch wenn der nach Sommer pur schmeckt: Das nächste Mal kommt man doch lieber zu Fuß.